Frischzellenkur für Altehrwürdiges

Schmitten-Oberreifenberg. Von Langeweile keine Spur: Esther und Ralf Groh, Veranstalter der Feldberg-Konzerte im eigenen Wohnzimmer, überraschen ihr Publikum immer wieder mit musikalischen Besonderheiten. Direkt nach dem Harfe-Solo-Konzert kam nun der Bösendorfer zwar wieder zu angestammten Ehren, aber Pianistin Johanna Summer nutzte den Premium-Flügel für eine Frischzellenkur altehrwürdiger Literatur.
Unverzichtbare Improvisationen
Dieser Gedanke lässt sich allerdings auch umdrehen: Summer verleiht dem Jazz altehrwürdige Strähnchen. Wie man es auch dreht und wendet, die junge Pianistin hat eine Schnittstelle entdeckt und verschmilzt die gegensätzlichen Genres äußerst kreativ. Denn was ist kreativer als die Improvisation, die sich im Moment des Spielens offenbart? »Ich spiele es immer wieder anders«, sagte die Künstlerin, die sich Schumanns Kinderszenen vorgenommen und ihr Projekt, wie auch das entsprechende Album, »Kaleidoskop« genannt hat. Außerordentlich passend, denn das griechische Wort bedeutet »schöne Formen sehen« und Kaleidoskope gehörten darüber hinaus zu den beliebtesten Spielzeugen, als die Kinderwelt noch analog war. Mit Kinderliedern hat der Klavierzyklus von Schumann allerdings nichts zu tun, er umfasst vielmehr bis heute viel gespielte romantisierende Erinnerungen eines Komponisten, die dieser als »Leichte Stücke« herausgab.
So leicht sind sie nun auch wieder nicht, aber als solche idealerweise für den Jazz entdeckt von einer klassisch ausgebildeten Pianistin, Jahrgang 1995, in deren künstlerischer Vita der »Junge Münchner Jazz-Preis« 2018 heraussticht, den sie für eben dieses Projekt bekommen hat, auf CD 2020 unter dem renommierten Jazz-Label ATC erschienen und ein Geheimtipp unter den Liebhabern des »young german jazz«.
Unmerkliche Überblendungen
Vier Stücke hatte Summer für das Oberreifenberger Konzert vorbereitet und dabei die Miniaturen paarweise vorgetragen, darunter die bekannteste Miniatur »Träumerei«. Unmerklich wie bei Überblendungen waren zum Teil die Übergänge zwischen klassisch und jazzig. Klassisch bedeutet in diesem Fall romantisch, und die Jazzpianistin verstand es, die Zuhörer vom ersten Moment an in die sensible Gefühlswelt der Schumann’schen Romantik mitzunehmen. Im Stück »Von fremden Ländern und Menschen« mischte sie auch exotische Fantasien in die Klangbilder, aber auch die mit einer Leichtigkeit gespielt, wie sie dem Titel des Klavierzyklus zu entlehnen sind.
Dazu kommt ein sensibler Spannungsaufbau, der noch andere Facetten zwischen den Polen romantischer Musik und Jazz berührt. Minimalistisch akzentuiert setzte die Künstlerin Pausen ein, die zum Atemanhalten zwangen. Konzentriert und versonnen zugleich, wirkte die Pianistin geradezu entrückt und tauchte nur zu kurzen Verbeugungen zwischen den Stücken nach dem kaleidoskopischem »Sehen schöner Formen« wieder auf.
Liebhaber konventioneller Interpretationen romantischer Musik kamen sicher nicht zu kurz, aber der subtile Swing des Jazz schimmerte immer wieder durch bis zum unüberhörbaren Groove, der zum Fußwippen animierte, und das bei Schumann. Der Jazz und seine Improvisationskunst machen es möglich, und wie es bei klassischen Stücken funktioniert, demonstrierte Summer in beeindruckender Weise.