Früher fahren, länger lernen - Das sagen Betroffene im Taunus zur Idee der Bundespolitik

Die neue Bundesregierung plant den Führerschein ab 16 Jahren einzuführen. Die Idee: Längeres begleitetes Fahren senkt das Unfallrisiko. Die Reaktionen im Hochtaunuskreis sind allerdings gemischt.
Hochtaunuskreis. Die neue Bundesregierung will das begleitete Fahren auf 16-Jährige ausweiten. Damit, so die Hoffnung der Politiker, lassen sich Unfälle von Fahranfängern vermeiden. Immerhin gab es 2018 bundesweit 36 052 Unfälle mit Personenschaden, darunter mit insgesamt 312 Toten, bei denen die Hauptverursacher im Alter von 18 bis 24 waren - erschreckende Zahlen, die nach Meinung des Automobilclubs ADAC nach Lösungen verlangen. Begleitetes Fahren ab 16 Jahren könnte eine Antwort sein.
Bisher ist das begleitete Fahren erst ab 17 Jahren möglich. »Mit dieser Maßnahme kann die Lernzeit verdoppelt und das Unfallrisiko der Fahranfänger dank der größeren Fahrpraxis weiter reduziert werden«, begrüßt der Club den Plan der Bundespolitik. Begrüßt hat ihn auch die Fahrlehr-Branche. Wir haben uns im Taunus umgehört, bei Fahrlehrern, bei der Führerscheinbehörde des Kreises und bei einem Rechtsanwalt, der oft Fahranfänger neben sich auf der Anklagebank sitzen hat. Fahren schon mit 16, ein guter Plan? Das Fazit: Jein.
Fahrschulen rechnen nicht mit erhöhter Nachfrage
Markus Leinberger von der Fahrschule Hochtaunus ist noch unschlüssig. 16 Jahre könnte etwas zu jung sein, müsse es aber nicht. Mädchen, so schätzt er, seien in diesem Alter oft vernünftiger und vorsichtiger als Jungs. Ob so junge Fahranfänger »alt genug« seien, zeige sich aber ohnehin erst später, »schließlich gibt es keinen Aufnahmetest« für den Führerschein. Zwei Jahre Anwartschaft auf das Fahren »endlich allein« habe Vor- und Nachteile: »Die Fahrpraxis und die dabei gewonnenen Erfahrungen sind in zwei Jahren natürlich deutlich länger. Nicht ausgeschlossen ist aber, dass die Begleiter mit der Zeit vielleicht auch nachlässiger werden«, sagt Leinberger.
Nach Einführung des begleiteten Fahrens ab 17 seien die Unfallzahlen mit Fahranfängern um rund ein Drittel zurückgegangen. Wenn künftig bereits ab 16 gefahren werden darf, könnte sich dieser Wert noch um ein paar Prozente verbessern, glaubt Leinberger. Mit einem Fahrschüler-Boom rechnet er bei der neuen Regel aber nicht: »Die bisher mit 17 angefangen haben, das sind 70 Prozent aller Fahranfänger, kommen dann eben schon mit 16. Da die Geburtenzahlen in den frühen 2000er Jahren aber bereits rückläufig waren, dürfte es zu keiner Überlastung kommen. Die haben wir schon eher durch die Pandemie, in der viele schon etwas Ältere, die bislang keinen Führerschein gebraucht oder gewollt haben, nun doch mobil werden wollen.«
Für Dirk Rödiger von der Fahrschule Usingen ist das begleitete Fahren ab 16 »eine gute Idee«. Die Lehre, in die die Fahranfänger nach der Fahrschule gingen, werde verdoppelt, was auch den Lernerfolg, die Erfahrung und das Verantwortungsgefühl erhöhe. Nach Rödigers Erwartung werden die Unfälle mit Beteiligung von Fahranfängern dadurch deutlich zurückgehen, und auch die Disziplin im Verkehr dürfte besser werden, erwartet er. Dass seine Fahrschule nach Einführung der neuen Regel von Fahrschülern überrollt wird, glaubt aber auch Rödiger nicht: »Vielleicht gibt es im ersten Jahr eine leichte Delle nach oben, das dürfte sich aber bald einpendeln«.
Führerscheinstelle des Hochtaunuskreis erwartet steigende Zahlen bei Anträgen
Die Führerscheinstelle im Kreishaus rechnet bei einer Herabsetzung des Einstiegsalters dagegen mit einem höheren Antragsaufkommen. Diese Erfahrung habe man auch nach der Einführung des begleiteten Fahrens ab 17 Jahren gemacht. »Ziel ist es, dass die Bearbeitungszeit bei maximal vier bis sechs Wochen liegt«, erklärt Kreis-Pressesprecherin Andrea Nagell.
Allein in diesem Jahr hat es - Stand jetzt - 1328 Anträge im Hochtaunuskreis gegeben. 2021 wurden nach Unfällen und anderen Verstößen 233 Aufbauseminare und damit die Verlängerung der Probezeit angeordnet, Tendenz steigend. Nagell: »Die meisten Verstöße betreffen Tempo-Überschreitungen, aber auch Missachtungen der Vorfahrt, Ampelverstöße oder Unfälle. Bei Alkohol- und Drogenfahrten ist der Prozentsatz geringer.«
Neu-Anspacher Anwalt skeptisch - schwere Unfälle befürchtet
Der Neu-Anspacher Anwalt Ralph Behr meint: »Mit 16 Auto fahren, ist sehr früh.« Bereits jetzt würden viele, auch schwere Unfälle von Fahranfängern verursacht. Deshalb seien die Versicherungsprämien für junge Fahrer auch so hoch - zumal die ersten Autos auch schon lange keine »Käfer mit 50 PS« mehr seien. Das Gefährdungsrisiko bei Unfällen mit weit höher motorisierten Autos sei aber ungleich höher als früher. Nach Behrs Erwartung wird das trotz der Verdoppelung der Anwartschaft nicht besser. Anders als Kreispressesprecherin Nagell sieht Behr mit Blick auf seine heranwachsende Kundschaft durchaus einen hohen Anteil von Verkehrsstraftaten unter Alkohol und Drogeneinfluss. Alexander Schneider