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Katholische Kirche im Usinger Land in der Krise: So viele Austritte wie noch nie

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Von: Inka Friedrich

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Aufgrund der schleppenden Aufklärung von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche, Erzbischof Woelki, der sich an seinen Stuhl klammert und einer eingestandenen Unwahrheit des emeritierten Papstes Benedikts XVI. treten momentan so viele Gläubige wie noch nie vorher aus der katholischen Kirche aus - auch im Usinger Land. © Imago Sportfotodienst GmbH

Die katholische Kirche steht wegen des Umgangs mit Missbrauchsfällen im Kreuzfeuer der Kritiker. Dass das auch für die Pfarrei St. Franziskus und Klara - Usinger Land gravierende Folgen hat, ist kaum noch zu übersehen: Die Leute wenden sich auch hier scharenweise von ihrer Kirche ab.

Hochtaunuskreis. Für viele Katholiken ist es jetzt langsam genug: Nach den jüngsten Vorkommnissen rund um das Thema Aufarbeitung des Missbrauchs, laufen der katholischen Kirche in Deutschland die Mitglieder in Scharen weg. In den Augen der Opferverbände fehlt eine schonungslose Aufklärung. Zurück bleiben Gottes Fußtruppen - die engagierten Kirchenkräfte vor Ort, die mit der Situation irgendwie klarkommen müssen. Wie geht man damit in der Pfarrei St. Franziskus und Klara - Usinger Land um? Diese Zeitung hat dazu mit Pfarrer Tobias Blechschmidt und Andreas Korten, gesprochen, der zusammen mit Kollegin Hannah Schäfer das Präventionsteam der Pfarrei bildet.

200 bis 250 Kirchenaustritte im vergangenen Quartal

Angesprochen auf den Umgang der katholischen Kirche mit dem Thema Abwanderung der Gläubigen ziehen die beiden Mitarbeiter der katholischen Pfarrei eine nüchterne Bilanz. Blechschmidt: »Die Austritte betreffen zwar nicht nur die katholische, sondern auch die evangelische Kirche. Doch wir hatten alleine 200 bis 250 Kirchenaustritte im letzten Quartal, was tatsächlich die höchste Anzahl an Austritten war, die wir bisher zu verzeichnen hatten.« Dies sei die vorläufige Spitze des Eisbergs: Würde es so weiter gehen, würde sich in den nächsten zehn Jahren alleine dadurch die Zahl der Gläubigen von heutzutage fast 12000 auf knapp 6000 halbieren.

Dabei fielen die Menschen nicht einmal vom Glauben ab, erklärt Blechschmidt. Vielmehr wollten sie ein Zeichen setzen, dass sie mit dem Gebaren der Kirche nicht einverstanden sind. Präventionsbeauftragter Korten bekennt, er sei zwar traurig, ja sogar enttäuscht, wenn Menschen austreten, die er persönlich kenne. »Trotzdem gibt es viele Leute, die aber dann vor Ort der Gemeinde Geld spenden, um den Kirchort an sich zu unterstützen. Und ich habe großes Verständnis dafür, dass es einigen Leuten tatsächlich reicht.«

Pfarrer Blechschmit: Kirche muss sich ihrer Verantwortung stellen

Blechschmidt ist als Pfarrer erst seit einem Jahr im Usinger Land. Und natürlich sei diese Situation für ihn als jungen Geistlichen frustrierend. »Gerade als junger Pfarrer brennt man dafür, etwas zu bewegen. Man gibt sich Mühe, Übergänge zu gestalten und das Miteinander zu pflegen. Dann kosten solche Rückschläge von außen natürlich große Kraft. In einem solchen Fall kann man nur schauen, das man sein Bestes gibt und sich nicht herunterziehen lässt.«

Dennoch helfe es nicht, sich in dieser unangenehmen Situation wegzuducken. Stattdessen müsse sich die Kirche ihrer Verantwortung stellen und alle Vorkommnisse schonungslos aufarbeiten. Wichtig sei ein offener und transparenter Umgang mit diesen Vorwürfen, betont der Pfarrer.

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Präventionsbeauftragter Andreas Korten und Pfarrer Tobias Blechschmidt der Gemeinde St. Franziskus und Klara beziehen Stellung zu dem Verhalten der katholischen Kirche bei der Aufklärung von Missbrauchsfällen. © Inka Friedrich

Dies sei übrigens eine Linie, die ebenso klar vom Bistum Limburg wie vor Ort verfolgt werde. »Wir haben das Glück, dass wir mit Georg Bätzing einen Bischof haben, der der Meinung ist, dass die Kirche den Mist, den sie verbockt hat, nun auch geraderücken müsse. Er hat gesagt, die Situation ist unangenehm, aber da müssen wir nun durch«, erklärt Blechschmidt. Um diesen Weg zu unterstützen habe man im Bistum Limburg bereits im Jahr 2018 die Studie »Betroffene hören - Missbrauch verhindern im Bistum Limburg« veröffentlicht, an die sich nun ein Folgeprojekt angeschlossen hat. An diesem haben 70 externe Fachleute zusammengearbeitet und Empfehlungen abgegeben. Im Oktober 2020 sei zudem ein Bischöflicher Beauftragter für die Umsetzung dieser Punkte eingesetzt worden.

Präventionsteam schult Mitarbeiter vor der Arbeit mit Gruppen

Korten hebt in diesem Zusammenhang noch einmal die Stellung des Präventionsteams hervor: »Alle Mitarbeiter werden bei uns mittlerweile im Bereich Missbrauchsprävention geschult. Das ist zwingende Voraussetzung, bevor sie überhaupt mit Gruppen zusammenarbeiten können.«

Seit Bischof Bätzing in Limburg wirke, wehe ein anderer, deutlich progressiverer Wind. Doch das heißt auch, dass sich Dinge, die früher ganz normal gewesen seien, heute geändert hätten. »Man ist nicht mehr so unbefangen wie früher«, erklärt Blechschmidt. Beispielsweise gelten bei Veranstaltungen mit Übernachtungen inzwischen andere Regeln. Er nennt ein Beispiel: »Auf unseren Freizeiten an meiner ersten Kaplansstelle hatten wir immer gemischtgeschlechtliche Betreuerzelte. Ich habe damals durchgesetzt, dass das abgeschafft wurde. Bei der Aussprache ist das zunächst zwar nicht auf viel Gegenliebe gestoßen. Doch hinterher kam eine Betreuerin zu mir und hat mir von einem Übergriff in der Vergangenheit berichtet. Spätestens da wusste ich, dass der Schritt richtig war.«

An manchen Stellen stockt die Aufklärung - auch unter den Gläubigen

Doch nicht überall gehe man so schonungslos vor - verschiedene Bistümer seien mit der Aufarbeitung der Vorwürfe unterschiedlich schnell. »Es gibt in der katholischen Kirche immer noch einen gewissen kleinen Anteil, der um jeden Preis vermeiden möchte, dass das Amt des Priesters in irgendeiner Form befleckt wird. Diese Geisteshaltung muss dringend aufgebrochen werden.« Dieses Phänomen beträfe übrigens nicht nur den Klerus. Auch einige Gläubige ertrügen einen schonungslos offenen Umgang mit diesem Thema nur schwer. So sei Blechschmidt nach eigenen Angaben nach Gottesdiensten schon darauf angesprochen worden, »es endlich einmal gut sein zu lassen.«

Doch trotz aller Aufarbeitung und Prävention, betont Blechschmidt, müsse man einem Umstand schonungslos ins Auge sehen: »Missbrauch wird es in der Gesellschaft leider immer geben, auch in der katholischen Kirche. Und hier rede ich nicht nur von sexuellem Missbrauch, sondern auch von physischem und psychischem Missbrauch. Wir können uns nur um höchstmögliche Prävention bemühen. Allerdings hat man an uns als Kirche einen ganz anderen moralischen Anspruch, weswegen wir natürlich auch anders beurteilt werden. Und das ist auch richtig so.«

Wichtig für Opfer: Täter müssen Verantwortung übernehmen

Darum sei es wichtig, zu erforschen, warum jemand zum Täter werde. »Gerade für die Verarbeitung des Traumas ist es Opfern oftmals wichtig zu verstehen, warum ein Mensch eine solche Tat begangen habe. Dies kann bei der inneren Heilung helfen.« Aus diesem Grund, so Blechschmidt, komme es den Opfern erfahrungsgemäß häufig gar nicht so sehr auf die Zahlung bestimmter Geldbeträge an. »Leidtragenden ist vielmehr wichtig, dass die Täter endlich Verantwortung für ihre Taten übernehmen.«

Und hier sei auch Handlungsbereitschaft der Kirche gefordert. Die Aufarbeitung solcher Taten bräuchten im Übrigen Zeit. Denn ein sexueller Übergriff habe neben einer arbeitsrechtlichen Komponente beispielsweise auch eine strafrechtliche, deren Tempo die Kirche nicht bestimmen könne. »Uns sind die Hände bis zu einer endgültigen Verurteilung mit einem strafrechtlichen Titel gebunden. Erst ab Erhebung einer Anklage kann die Kirche als Arbeitgeber final handeln, bis dahin kann ein Person nur vom Dienst freigestellt werden.« Das anschließende Vorgehen richte sich danach, welches Vergehens sich ein Mitarbeiter tatsächlich schuldig gemacht hat. Bei Grenzverletzungen, die nicht den Tatbestand eines sexuellen Missbrauchs erfüllen, beispielsweise bei verbalen Verfehlungen, müsse die Kirche abwägen, »ob es möglich ist, diesen Priester oder Mitarbeiter an anderer Stelle sinnvoll einzusetzen.« Der Fall Tebartz-van Elst zeige, natürlich in einem anderen Zusammenhang, dass es Möglichkeiten des Verzeihens geben müsse, dass diese aber nicht ohne klare Konsequenzen funktionierten. Wenn es jedoch um den Umgang mit Missbrauch in der Kirche geht, dann müsse der Schutz der Opfer sowie die Transparenz immer an erster Stelle stehen. Die Praxis des Versetzen an einen anderen Ort, wie über Jahrzehnte geschehen, um sexuellen Missbrauch und andere Vorkommnisse zu vertuschen, sei jedoch ganz klar ein falsches Verhalten der Kirche gewesen, betont Blechschmidt.

Ein Mitarbeiter von St. Franziskus & Klara - Usinger Land ist aktuell beurlaubt

In seiner Vergangenheit hat Blechschmidt bereits mit Missbrauchsfällen zu tun gehabt. »Bei beiden Kaplanstellen gab es Vorkommnisse. Die in Königstein liegen bereits Jahre zurück, doch die Ereignisse in Montabaur damals waren ganz aktuell.« Diese Vorwürfe aus Königstein hätten damals jemanden betroffen, der für ihn selbst eine Art Vorbild gewesen sei. »Das belastet einen schon sehr stark emotional.« Aus dem Usinger Land seien ihm bislang keine Verfehlungen bekannt. »Doch das heißt nicht, dass es diese hier nicht gegeben hat«, betont der Geistliche. Es könnte sein, dass sich Opfer bislang nur nicht geöffnet hätten, denn dazu brauche es Vertrauen und Zeit. Von einem ganz aktuellen Fall wolle er - gerade wegen der Transparenz - aber doch noch berichten: Ein Mitarbeiter einer Institution mit Anschluss an die katholische Kirche sei momentan im Zusammenhang mit entsprechenden Vorwürfen freigestellt. Diese sollen sich jedoch im privaten Bereich ereignet haben.

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