Im "Bahnhofsmesserstecherprozess" spricht die Verteidigung überraschend über eine angebliche Zeugin, die jedoch bislang keiner mit Namen kennt - nicht einmal der Angeklagte, der mehrere Dates mit ihr gehabt haben will.
Von sma
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NEU-ANSPACH - Knapp ein halbes Jahr nach dem Prozessauftakt wegen der lebensgefährlichen Attacke auf einen Fahrgast am Neu-Anspacher Bahnhof hätte es fast geklappt mit einem Urteil. Doch kurz vor der Verkündung im Frankfurter Landgericht hatte der Rechtsanwalt des aus Neu-Anspach stammenden Hauptangeklagten wie schon so oft überraschend noch einen Antrag parat. Man solle wieder in die Beweisaufnahme eintreten, forderte er. Es habe sich ein neuer Ermittlungsansatz ergeben.
Und so wurde nicht das Urteil verkündet, sondern ein neuer Verhandlungstermin für nächste Woche bestimmt. Bis dahin will die 8. Große Jugendstrafkammer entscheiden, ob sie diesem Ansinnen des Anwalts stattgibt. Die Geschichte zu dem Antrag hört sich abenteuerlich an, sie ist gespickt mit Zufällen, wichtige Rollen darin spielen zwei weitere Straftäter aus Neu-Anspach.
Danach soll besagter Angeklagter im Gefängnis einen alten Kumpel getroffen haben - ein Serienstraftäter, der eine langjährige Haftstrafe wegen Raubüberfällen im Usinger Land absitzt und bei einem Prozess im vergangenen Jahr haarscharf an einer Sicherungsverwahrung vorbei geschrammt ist. Diesem Kumpel will er erzählt haben, dass er während der ihm nun vorgeworfenen Tat am Neu-Anspacher Bahnhof gar nicht vor Ort gewesen sei, sondern sich mit einem Mädchen getroffen habe. Trotz mehrfacher früherer Dates wisse er leider ihren Namen nicht. Aus seiner Beschreibung heraus soll sein Kumpel gesagt haben, sein Bruder - ebenfalls bei Polizei und Justiz kein unbeschriebenes Blatt - wisse, um wen es sich handele, kenne ihren Vornamen und die Straße, in der sie in Usingen wohne.
Sollte es diese junge Frau tatsächlich geben und würde sie dem 24-jährigen Angeklagten ein Alibi geben, könnte das diesen vor einer langen Freiheitsstrafe bewahren. Doch seinem Rechtsanwalt soll er von diesem so wichtigen Gespräch nichts erzählt haben, der soll erst von einem Anwaltskollegen von der neuen Beweislage informiert worden sein.
Und damit käme ein weiterer Zufall ins Spiel. Denn derselbe Anwalt, der nun in dem Frankfurter Prozess einen weiteren Angeklagten vertritt, ist auch der Anwalt des inhaftierten Serienstraftäters. Wenige Stunden vor Urteilsverkündung sei er zufällig bei diesem im Gefängnis gewesen und da habe ihm sein Mandant völlig überraschend davon erzählt, dass er die in diesem Prozess gesuchte junge Dame kenne. Das habe er natürlich seinem Kollegen weitergegeben.
Allerdings sind die Angaben zu der gesuchten Frau äußerst dünn: Es gibt den Vornamen, die Straße, in der sie wohnen soll und als Personenbeschreibung "groß und blond". Die Staatsanwältin schüttelte bei dem Antrag des Rechtsanwalts wie schon so oft in dem Prozess ungläubig mit dem Kopf. Sie habe schon Kontakt mit der Polizei aufgenommen, ein Mädchen mit diesem Vornamen sei in der besagten Straße nicht gemeldet, sagte sie. "Wonach soll die Polizei in Usingen denn suchen?", meinte sie angesichts der dürren Angaben. Zudem wundere sie sich über zwei Tatsachen: Zum einen, dass der Hauptangeklagte nichts von dem möglichen Alibi seinem Verteidiger erzählt habe. Und zum anderen, warum sich der Serienstraftäter im Gefängnis "plötzlich berufen gefühlt hat, seinem Rechtsanwalt davon zu erzählen."
Den Angeklagten wird vorgeworfen, im November 2019 am Bahnhof im Rahmen der Auseinandersetzung dem Fahrgast vier Mal mit einem Messer in den Rücken gestochen und ihn mit einer Schreckschusspistole bedroht zu haben.