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Partner mit der kalten Schnauze

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Von: Natascha Heidenreich

Bewohnerin Marlen Wünsch kennt Audrey (li.) gut, denn der Golden Retriever ist natürlich auch für all die Bewohner da, die nicht unter Demenz leiden wie Wünsch. Der kleine Hund Bruno (re.) ist jeden Tag im Kurstift, aber nicht als Assistenzhund, sondern er gehört einer Mitarbeiterin.
Bewohnerin Marlen Wünsch kennt Audrey (li.) gut, denn der Golden Retriever ist natürlich auch für all die Bewohner da, die nicht unter Demenz leiden wie Wünsch. Der kleine Hund Bruno (re.) ist jeden Tag im Kurstift, aber nicht als Assistenzhund, sondern er gehört einer Mitarbeiterin. © NATASCHA HEIDENREICH

Bei der hochsensiblen Hündin Audrey blühen Demenzkranke im Kurstift wieder auf.

Bad Homburg -Wo sind jetzt schon wieder die Schlüssel? Die Hündin mit dem goldenen Fell bringt sie schwanzwedelnd zu der suchenden Hand. Läuft lautlos über den roten Teppich im Kurstift. Nächstes Problem: Was gab es gestern doch gleich zum Mittagessen? Die Frage ist für manch einen Bewohner der Seniorenresidenz nicht zu beantworten, denn sie leiden an Demenz. Die Krankheit kommt schleichend. Die Angst, nicht zu wissen, was gerade passiert, überfällt die Betroffenen dagegen schlagartig. Aber wieder ist der vierbeinige Tröster zur Stelle, um Zuneigung zu schenken und die Angst zu lindern.

„Sie soll kleine Hilfestellungen geben“, sagt Frauchen Andrea Klemencic über ihren Hund Audrey. Das heißt, sie hat gelernt, Dinge aufzuheben und zu bringen. Das können das Brillenetui, das Telefon oder die Hausschuhe sein. Audrey begleitet Menschen, die nicht mehr sicher die Treppe hinauf- oder hinuntergehen können. Klemencic ist die Assistentin der Geschäftsführung im Kurstift, und auch ihr Golden Retriever „arbeitet“ dort.

Die Hündin ist drei Jahre alt. „Am 29. Mai wird sie vier“, sagt ihr Frauchen und beobachtet Audrey, die sich dort niedergelassen hat, wo die Sonne durchs Fenster scheint. Sie ist kurz vorm Ende ihrer Ausbildung zur Alzheimer-Hündin. „Am 3. Juni ist ihre Abschlussprüfung. Da muss sich Audrey einer Simulation stellen und diese erfolgreich meistern“, sagt Klemencic. Geprüft wird aber nicht nur die Hündin, sondern auch ihr Frauchen. Um das internationale Zertifikat zu erlangen, das im Anschluss jährlich aufgefrischt wird, muss sich Klemencic unter anderem intensiv mit dem Verhalten ihrer Hündin beschäftigen. Das ist wichtig, damit sie auch erkennt, wenn es Audrey zu viel wird. „Das Wichtigste ist, dass es dem Hund immer gut geht bei der Arbeit mit Alzheimer-Erkrankten.“

Alzheimer ist die häufigste Form der Demenz und eine unheilbare Störung des Gehirns. Durch das Absterben von Nervenzellen im Gehirn werden Alzheimer-Kranke zunehmend vergesslich, verwirrt und desorientiert, andere dagegen unruhig, aggressiv oder depressiv.

Eine Verständigung auf emotionaler Ebene

„2019 hatte unsere Chefin Yvonne Haschke die Idee, einen Alzheimer-Hund für das Kurstift auszubilden“, sagt Andrea Klemencic, die diese Idee ebenfalls begeisterte, so dass sie sich entschloss, zur Hundebesitzerin zu werden - Audrey ist ihr erster Hund. Haschke wendete sich an „Vita Assistenzhunde“, und bereits drei Monate später war Audrey täglicher Gast im Kurstift. Die kleine Hündin wird, seitdem sie 15 Wochen alt ist, speziell für die Betreuung von Menschen mit Demenz ausgebildet. Diplom-Sozialpädagogin Tatjana Kreidler hat Audrey bei einer Züchterin entdeckt, als die Hündin noch ein Welpe war, und in ihr das Potenzial gesehen, als Alzheimer-Hündin eingesetzt zu werden. „Audrey ist hochsensibel. Das macht sie perfekt für die Arbeit mit vergesslichen Menschen“, sagt Klemencic.

Kreidler ist Vorsitzende und Gründerin von „Vita Assistenzhunde“ - einem gemeinnützigen Verein - und erklärt die Vorteile der vierbeinigen Helfer: „Ein Alzheimer-Hund ist ein großartiger Mittler, wenn sich demenziell erkrankte Menschen in ihre eigene Welt zurückziehen, zu der Pflegekräfte und Angehörige kaum noch Zugang finden.“ Das liege schlicht und einfach daran, sagt die Expertin, dass Hunde ihre Zuneigung ganz direkt äußerten. Sie wedeln mit dem Schwanz und wollen kuscheln. Außerdem reagieren sie sehr intuitiv auf Berührungen, Gesten und Augenkontakt. „Mensch und Tier verständigen sich auf einer tiefen emotionalen Ebene, die von der Krankheit nicht betroffen ist“, sagt Kreidler.

Und es wirkt: „Es gibt hier Bewohner, die nicht mehr sprechen. Nur, wenn Audrey neben ihnen sitzt, kommt ihnen manchmal ein Wort über die Lippen“, sagt Klemencic. „Hunde stört es nicht, wenn ein Mensch immer wieder dieselben Dinge erzählt, wenn Worte unverständlich sind oder keinen Sinn ergeben. Ihre Zuneigung ist unvoreingenommen, ehrlich und bedingungslos. Damit erfüllen sie die ganz ursprüngliche Sehnsucht nach Nähe, Wärme, Trost, Zärtlichkeit, Bestätigung und Anerkennung.“ Ein anderer Punkt, der die Leiterin des Kurstifts von dieser besonderen Behandlung der unheilbaren Krankheit überzeugt hat, ist, dass Assistenzhunde bei den Demenzkranken einen Wunsch nach Fürsorge und Pflege auslösen. Wenn Audrey mit auf die Station kommt, dann werden die Bewohner einbezogen. „Sie dürfen ihr zum Beispiel Wasser geben, sie streicheln oder kleine Spiele mit ihr spielen“, sagt Audreys Frauchen. Die Hündin macht auch Einzelbesuche auf den Zimmern. Wichtig ist, dass sie nach 30 Minuten eine Pause bekommt. Die Arbeit mit Alzheimer-Patienten ist schwer. Klemencic hat ihre Hündin immer im Blick und eine spezielle Leine, die sie jederzeit lösen kann, falls ein Bewohner zu grob streichelt, was aufgrund der Krankheit geschehen kann.

Aber Audrey hat in der Seniorenresidenz nicht nur die Herzen der Zweibeiner erobert, sondern auch in Bruno einen Freund gefunden. Der kleine weiße Hund gehört einer anderen Mitarbeiterin.

Eine kleine Pause im Kaminzimmer gefällig? Audrey und Bruno machen es sich gemütlich.
Eine kleine Pause im Kaminzimmer gefällig? Audrey und Bruno machen es sich gemütlich. © NATASCHA HEIDENREICH

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