Gedenkstunde am Platz der ehemaligen Synagoge

Die Schmittener Pfarrerin Tabea Kraaz und Konfirmanden erinnern an die Pogromnacht am 9. November 1938. Und sie helfen, gegen das Vergessen anzukämpfen.
Schmitten -In der Pogromnacht am 9. November 1938 stachelte Joseph Goebbels mit einer Hetzrede die organisierten Angriffe auf jüdische Privatpersonen, Geschäfte und Einrichtungen an. Unbekannte hatten in dieser Nacht auch die Schmittener Synagoge geschändet. Und bis 1945 ermordeten die Nationalsozialisten alle Schmittener Juden, die nicht rechtzeitig emigriert waren.
Nur wenige Schmittener Bürger, die meisten aus der evangelischen Kirchengemeinde Arnoldshain, haben am Mittwochabend der Opfer der Judenverfolgungen gedacht, um ein Zeichen gegen Krieg und Verfolgung und gegen das Vergessen zu setzen.
Zunächst haben 13 Konfirmanden der Arnoldshainer Kirchengemeinde die drei Stolpersteine der Familie Strauss in der Seelenberger Straße in Schmitten gesäubert und poliert. Matthias Kluber, Gemeindevertreter der Grünen, legte im Gedenken an diejenigen Menschen, die seine Nachbarn hätten sein sollen und für die es kein Grab gibt, drei Rosen nieder. Von dort liefen die Teilnehmer der Veranstaltung zum Gedenkstein für die alte Synagoge in der Wiegerstraße. In der Pogromnacht war die Inneneinrichtung zerstört worden. Zunächst hatte die Gemeinde das Gebäude gekauft und später mit Gewinn weiterverkauft. Es verfiel immer mehr und wurde 1995 abgerissen. Heute erinnert hinter dem Kurhaus Ochs nur der Gedenkstein an das ehemalige Gotteshaus
Vor dem nur von einer Kerze in einer Laterne beleuchteten Mahnmal hielt Pfarrerin Dr. Tabea Kraaz, unterstützt von den Konfirmanden und Christine Matthay am Keyboard und mit der Flöte, eine Andacht. Nach der musikalischen Einstimmung mit einem Thema aus der Filmmusik aus Schindlers Liste stimmten die Teilnehmer das Lied „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ nach einem Gedicht des evangelischen Theologen und NS-Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer an.
Vier jüdische Familien grausam ermordet
Im Konfirmandenunterricht hatten sich die Mädchen und Jungen zusammen mit dem Lokalhistoriker und zweiten Vorsitzenden des Geschichtsvereins Hochtaunus, Wolfgang Breese, mit dem Schicksal der Schmittener Juden auseinandergesetzt.
Sie erinnerten nun an die Hoteliersfamilie Wilhelm und Hanna Strauss und ihren Sohn Max. Sie waren 1942 aus Schmitten deportiert und in Auschwitz ermordet worden. Ähnlich erging es den meisten Mitgliedern der jüdischen Familien Hess, Herz und Löwenstein.
Für die Konfirmanden sei es unfassbar gewesen, was damals mitten im Dorf passiert ist, so die Pfarrerin. „Jüdische Mitbürger, die sich vorher so sicher gefühlt hatten, wurden grausam verfolgt und ermordet und ihre ganze Religion wurde zur absurden Rassenideologie erklärt“, so die Pfarrerin. Sie fragte in die Runde: „Wie kann man angesichts von sechs Millionen ermordeten Juden stark sein?“ In Anspielung auf viele, die nicht gewusst haben wollten, was mit ihren Nachbarn, die abgeholt wurden, passierte, sagte Dr. Kraaz: „Das Problem beginnt nicht bei den Leichenbergen, sondern beim Wegschauen und Schweigen. Das große Grauen kommt am Schluss.“ Und sie mahnte: „Wenn wir aus dem, was damals passiert ist, nicht lernen, ist die Gefahr groß, dass die Geschichte sich wiederholt.“ In den Fürbitten mutmaßte eine Konfirmandin: „Wie anders wäre unsere Welt, wenn sie noch da wären?“ VON EVELYN KREUTZ