Stephan Kurt und Ulf Schneider vor ihrem Auftritt, der die Zuschauer begeistert. Foto: Seifert
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USINGEN - Zu einer musikalisch-poetischen Reflexion unter dem Titel „Was will der Mensch?“ hatte der Kulturkreis Usinger Land in die evangelische Laurentiuskirche eingeladen. Schauspieler Stephan Kurt als Rezitator und Ulf Schneider, Violine, gestalteten die rund einstündige Veranstaltung, die man als eine gelungene Mischung aus Konzert und Lesung bezeichnen darf.
Gerade im November beschäftigen sich viele Menschen mit dem Werden und Vergehen. Allerheiligen, Allerseelen, der Volkstrauertag und nicht zuletzt der Totensonntag erinnern in diesem Monat einmal mehr an die Endlichkeit des Seins. Wie passend ist es da, wenn auch im kulturellen Angebot der Tod thematisch in den Fokus gerückt und einmal aus einer völlig anderen Perspektive betrachtet wird.
Dem aus der Schweiz stammenden Theater-, Film-, und Fernsehschauspieler Stephan Kurt fiel vor einem Jahr Elias Canettis „Buch gegen den Tod“ in die Hände. Er war beeindruckt von Canettis vehementem Kampf wider das Ende des sicheren Todes. Für seine Rezitation griff Kurt aus allen Kapiteln des posthum erschienenen Werkes Canettis wesentliche Kernaussagen heraus. In sprachlicher Eleganz vermittelte der Schauspieler dem Publikum die tiefgründigen Gedanken des 1994 verstorbenen Autors zum Thema Tod.
Canetti hatte den Tod schon sehr früh zum Todfeind für sich erklärt und weigerte sich zeit seines Lebens, ihn zu akzeptieren. Seine Waffen, die er gegen ihn richtete, waren zehn gespitzte Bleistifte, die seit 1942 immer bereitlagen, um sich an dem komplexen Thema abzuarbeiten. Keinesfalls wollte der 1905 in Bulgarien geborene Schriftsteller seine Aufzeichnungen „gegen den Tod“ zu Lebzeiten veröffentlicht sehen. Er wollte sich für seine Aussagen nicht rechtfertigen müssen. „Wir machen es dem Tod zu leicht. Ich verfluche den Tod und liebe jeden, der den Tod verabscheut“, rezitierte Kurt aus dem Kapitel „Nach dem Regen“. Nachdenklich stimmte auch die Frage Canettis, wie die Welt wohl aussehen würde, wenn aller Besitz eines Menschen nach dessen Tod vernichtet werden müsste. Spannende Thesen vermittelte Stephan Kurt auch aus den Kapiteln „Der Tod-Erlösung?“, „Es wird immer klarer“. Ganze Bandwurmsätze brachte der Künstler aus Canettis Buch zur Frage hervor, was der Mensch tatsächlich wolle und für was er letztendlich zur Welt gekommen sei. Für Canetti stand am Ende seiner mehr als 50-jährigen Arbeit fest: „Ich glaube noch immer nicht, dass ich sterben muss, aber ich weiß es.“ Und so wollte er denn auch mit dem gelben Bleistift in der Hand über einem drohenden Wort ins Jenseits gleiten.
Musikalisch pointiert in Szene gesetzt wurde die Reflexion durch Ulf Schneider. Er zählt deutschlandweit zu den besten Violinisten und lehrt als Professor an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover. Schneider interessiert sich für vielfältige thematisch geprägte Programme, in denen Musik und Literatur eine besondere Beziehung miteinander eingehen. Für Stephan Kurts Rezitation also ein idealer Partner. Mit Bachs Partia in d-Moll verschaffte der Violinvirtuose dem Publikum zwischen den literarischen Elementen Zeit zum Nachdenken und nahm gleichzeitig Bezug auf das literarische Thema. Denn Bach hatte dieses Werk kurz nach dem Tod seiner geliebten Frau komponiert und damit wohl seinen Trauerschmerz verarbeitet. In absoluter Präzision konzertierte Schneider und lieferte mit dem 5. Satz, der Chaconne, ein beeindruckendes musikalisches Ausrufezeichen ab. Nicht ohne Grund hatte der Künstler seine über zweihundert Jahre alte Bologna-Violine mit in die Buchfinkenstadt gebracht. „Sie bringt die Basstöne der Chaconne perfekt rüber“, erklärte der Künstler. Ergänzt wurden die Konzertelemente mit musikalischen Miniaturen des ungarischen Komponisten György Kurtág. Mit einem großartigen Applaus dankte das Publikum den beiden Künstlern für ihre brillante Leistung.