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Die Wunderdroge des Mittelalters

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Von: Sabine Neugebauer

Heute wieder im Taunus zu Hause: der Biber.
Heute wieder im Taunus zu Hause: der Biber. © picture alliance / dpa

Meister Lampe, Adebar und Isegrim: In einer neuen Serie gehen wir den heimischen Tieren, ihrer Geschichte und ihrem Vorkommen in Märchen und Sagen nach. Heute: der Biber.

Der Biber ist in den vergangenen Jahren wieder ins Usinger Land zurückgekehrt (diese Zeitung berichtete). Nachdem er vermutlich bereits im 18. Jahrhundert aus Hessen verschwunden gewesen war, wurden Ende der 1980er Jahre vom Forstamt Sinntal erste Einbürgerungen vorgenommen.

Bis 2017 hatte sich die Population in Hessen bereits wieder auf etwa 1000 Exemplare vergrößert. Doch warum ist der Biber verschwunden, der so zahlreichen Orten in Hessen, wie beispielsweise dem Biber-Born in Stierstadt, dem Biber-Graben in Bad Camberg oder einer Biber-Gasse in Frankfurt, seinen Namen gab? Und dessen Schwanz im gleichnamigen Dachziegel verewigt wurde.

Nachfrage treibt Erkundung voran

Der Grund war seine Bedeutung als Fleisch-, Pelz und Medizinlieferant. Schon die ersten Menschen in Europa schätzten Biberfleisch, zumal die Tiere relativ leicht zu erbeuten waren. Später erklärte die katholische Kirche den Biber aufgrund seines beschuppten Schwanzes und seiner amphibischen Lebensweise zum Fisch. Dieser durfte darum auch in der Fastenzeit verzehrt werden. Da zusätzlich die Fastenzeit mit der Zeit zusammenfällt, in der die Biberweibchen trächtig sind, war die Jagd besonders gravierend.

Außer dem Fleisch war auch der Biberpelz sehr beliebt, da er einer der haltbarsten und dichtesten im Tierreich ist. So wird aus dem Jahr 1556 berichtet, dass ein Biberfell dem Wert eines Pferdes entsprach. Und dann kamen im 17. Jahrhundert Biberhüte in Mode, die aus dem Filz der Unterwolle hergestellt wurden. Der Biber wurde aus diesem Grund sogar das Wappentier der Hutmacher. Nachdem seit dieser Zeit die Biberbestände in Europa stark zurückgegangen waren, wurde die Jagd nach Nordamerika verlegt. Die Erschließung des nordamerikanischen Kontinents wurde zum Teil sogar aufgrund der Nachfrage nach Biberpelzen vorangetrieben. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde jährlich eine halbe Million Stück dieser begehrten Ware in London verkauft.

Noch wertvoller jedoch war das sogenannte Bibergeil. Wissenschaftlich wird diese flüssig-gelbliche Substanz als Castoreum bezeichnet. Mehr als 40 verschiedene Substanzen wurden bisher darin nachgewiesen. Die Inhaltsstoffe finden sich auch häufig in den Nahrungspflanzen der Biber wie beispielsweise das Salizin aus den von den Bibern gerne gefressenen Weidenrinden. Das ist der gleiche Grundstoff wie die Salizylsäure, die auch in Aspirin enthalten ist.

Die Biber nutzen den Stoff zur Markierung ihrer Reviere. In der Augsburger Casteriologia von 1685 sind über 200 Anwendungen von Bibergeil aufgelistet, der Stoff war sozusagen die Wunderdroge des ausgehenden Mittelalters. Es wurde gegen Fieber und Schmerzen, Rheuma und Gicht, Schlaflosigkeit, Lähmungen und Wahnsinn eingesetzt. Und es sollte als Aphrodisiakum dienen.

Dem Jäger Beute überlassen

Selbst heute noch wird Bibergeil in homöopathischen Rezepten angewendet, aber auch als Duftträger in der Parfümindustrie. Da der Biber früher weit verbreitet war, floss seine Gestalt schon bei den Griechen (so bei Phaedrus) in die Fabelwelt ein. So war in der Antike die Ansicht verbreitet, dass der Biber sich bei Gefahr seine Hoden abbeiße, um sie dem Jäger zu überlassen, damit dieser sein Leben schone. Es wurde fälschlicherweise angenommen, dass das Bibergeil, worauf es die Jäger abgesehen hatten, in den Hoden produziert werde.

Diese Vorstellung wurde auch als Allegorie auf das menschliche Leben übertragen: Der Jäger entspricht dabei dem Teufel, dem der Mensch nur entkommen kann, wenn er sich dessen entledigt, worauf es der Teufel abgesehen hat, nämlich seiner Sünden.

In späteren Fabeln gilt Meister Bockert (auch Bokert) als klug, fleißig und arbeitsam. Oftmals wird er als Richter dargestellt wie bei dem Norweger Ludvig Baron Holberg im 17. Jahrhundert. Auch Johann Heinrich Pestalozzi Ende des 18. Jahrhunderts baute den Biber in seine Fabeln ein. Und im Münchener Bilderbogen taucht der Biber Ende des 19. Jahrhunderts auf: „Doch der rührig fleißige Biber, bauet vor des Herbst’s Beginn, noch mit klug vorsichtigem Sinn, eine feste Burg sich lieber.“ VON SABINE NEUGEBAUER

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