Von Niederlauken in die ganze Welt

Seit 50 Jahren baut Canton in einer ehemaligen Dorfschule Lautsprecher. Und das Unternehmen will auch gar nicht weg.
Weilrod -Hubert Milbers, Otfried Sandig, Wolfgang Seikritt und Günther Seitz - diese vier Männer haben am 17. Oktober 1972 die Firma Canton gegründet und als Standort für ihr Unternehmen die ehemalige Dorfschule in Niederlauken ausgewählt. 50 Jahre später befindet sich das Unternehmen noch immer in dem Weilroder Örtchen, und während Milbers, Sandig und Seikritt längst ausgeschieden sind und andere Pläne verfolgt haben, kommt Seitz weiterhin jeden Tag in den Betrieb - obwohl er 2019 die Geschäftsführung an seinen Schwiegersohn Christoph Kraus übergeben hat und in einem Alter ist, in dem andere schon lange nicht mehr arbeiten.
„Die Firma war immer mein Hobby“, erzählt der 80-Jährige. Er habe in dem zurückliegenden halben Jahrhundert kaum Zeit für etwas anderes gehabt. Ab und zu mal Radfahren nach Feierabend oder am Wochenende, mehr sei nicht drin gewesen. Bedauern schwingt in seiner Stimme trotzdem nicht mit. Seitz spricht mit Begeisterung über sein Lebenswerk, kennt Jahreszahlen genau und kann selbst kleinste Begebenheiten aus lange vergangenen Tagen und Geschichten über Beschäftigte im Detail erzählen.
Ein Name, der im Gespräch beispielsweise immer wieder fällt, ist der des bereits verstorbenen Helmut Eichhorn, der Canton zu Beginn viele Mitarbeiter aus der Umgebung vermittelte, nebenan wohnte und einer von seinerzeit nur drei Bürgern im Ort war, die einen Telefonanschluss hatten. „Wir haben tagsüber immer seinen Anschluss genutzt“, erzählt Seitz. „Am Abend hat er ihn dann wieder zu sich zurückgestellt.“
Verlagerung war keine Option
Während sich Entwicklung, Konstruktion, Design und Produktion noch immer in ehemaligen Klassenzimmern beziehungsweise in einer 1975 gebauten Fertigungshalle plus Lager befinden, sind die Büros seit 1988 in einem benachbarten Fachwerkhaus-Komplex angesiedelt. Seitz genießt den Blick durch die großen Fenster in die Landschaft und auf die jetzt herbstlich gefärbten Bäume. Aufgrund der „perfekten Grundvoraussetzungen“ war es für ihn nie eine Option, die Firma zu verlagern.
Seitz, der in Oberreifenberg aufgewachsen ist und heute in Merzhausen lebt, hat einst eine Ausbildung zum Kaufmann gemacht. Er hat von seinem Vater, einem Radiotechniker, zudem schon früh gelernt, wie man Lautsprecher baut. Er arbeitete dann bei Heco in Schmitten, ebenfalls eine Traditionsfirma im deutschen Lautsprecher-Bau, und lernte dort Seikritt kennen.
Als Heco 1971 verkauft wurde, beschlossen die beiden Männer, die in Sandig und Milbers zwei weitere erfahrene Partner fanden, sich selbstständig zu machen. Sie gaben ihrer Firma den Namen Canton - eine Zusammensetzung aus Cantare (singen) und Ton. 31 Angestellte hatte das Unternehmen zu Beginn, alle mussten angelernt werden, und wer kein Auto hatte, wurde von zu Hause abgeholt. „Acht VW-Busse waren damals unterwegs.“
Mit fünf Regallautsprechern der LE-Serie ging es an den Start, mit vier Boxen trat Canton 1973 bei einem Produkt-Test der Fachzeitschrift „Hifi Stereophonie“ an - und belegte prompt die ersten vier Plätze. „Vor Heco und Braun“, wie Seitz noch heute stolz erzählt.
Von da an ging es steil bergauf, und der Firmengründer hat eine einfache Erklärung für diesen Erfolg: „Wir haben uns angestrengt.“ Seitz hebt als erstes den guten Klang der Boxen hervor. Die Ausgewogenheit sei wichtig, sonst werde es bei längerem Hören zu anstrengend, findet er. Wichtig sei zu Beginn aber auch die gute Haptik der Lautsprecher gewesen, denn Canton habe, anders als dies seinerzeit bei anderen Herstellern der Fall gewesen sei, auch die Rückseite der Gehäuse lackiert. „Unsere Boxen waren schon damals regelrechte Möbelstücke.“
Heute hat Canton 100 verschiedene Modelle im Produkt-Portfolio. Der Stückpreis beginnt im zweistelligen Bereich und endet im fünfstelligen für das Top-Modell: die Reference 1K. Seit 2002 hat die Firma einen zweiten Sitz in Tschechien - zum einen aus Platz-, zum anderen aus Kostengründen. In der 400 Kilometer entfernten Fertigungsstätte findet die Vorproduktion beispielsweise von Kabeln, Chassis und Frequenzweichen statt, in Weilrod wird dann alles zusammengeführt.
150 Mitarbeiter zählt Canton inzwischen, und Seitz ist glücklich, dass die Firma weiter im Besitz der Familie ist. Fremde Anteilseigner gebe es nicht, betont er. „Auch wenn es jeden Tag Angebote gibt, das Unternehmen zu kaufen.“
Neben dem Betriebswirt Kraus, der vor seinem Einstieg bei Canton 14 Jahre bei einer Bank in Frankfurt tätig war und jetzt in der Firma „voran geht“, arbeiten auch die Söhne Achim Seitz und Oliver Hennel in der Geschäftsleitung mit. An dieser Stelle erwähnt Günther Seitz zudem Entwicklungschef Frank Göbl: „Er ist ein absolutes Genie.“
Der Seniorchef zählt aber auch seine Mitarbeiter, von denen manche bereits seit Jahrzehnten hier beschäftigt sind, zur Familie. „Deshalb muss es weitergehen, die Leute müssen weiter einen Job haben.“
In Deutschland die Nummer 1
Lieferschwierigkeiten bei Rohmaterial, Inflation und Ukraine-Krieg bekommt auch Canton zu spüren. Gefährdet war das Unternehmen aber nie, sagen Seitz und Kraus, auch wenn 1977 ein Versuch, in England Receiver zu produzieren, gescheitert ist. Vor allem mit Beginn der Corona-Pandemie, als sich die Menschen mehr auf ihr Zuhause besinnt haben, ist der Umsatz explodiert. Zahlen möchte Kraus allerdings nicht nennen. Nur so viel: „Wir sind in Deutschland die Nummer 1 und in Europa die Nummer 2.“ Und Seitz ergänzt: „Wir sind auf der ganzen Welt zu finden.“
Große Umsatzträger sind heute - neben den klassischen Boxen - Lautsprecher für das Heimkino, Soundbars beziehungsweise Sounddecks, Bluetooth-Lautsprecher für das Streamen von Musik und die neueste Smart-Serie, dank derer man die Musik im ganzen Haus vernetzen kann. Sie ist für Kraus auch die Zukunft. „Sie liefert uns noch genug Futter für die nächsten Jahre.“
Der alte und der neue Geschäftsführer sind jedenfalls überzeugt: „Es wird immer Musik gehört.“ Das gilt natürlich auch für sie selbst. Seitz liebt die Klassik, vor allem Schubert und Schostakowitsch, bei Kraus ist die Auswahl abhängig von der Stimmung. „Meist höre ich die Charts rauf und runter.“
Übrigens: Aus Anlass des Jubiläums werden am heutigen Donnerstag, 9.30 Uhr, an der Canton-Zentrale gemeinsam mit Mitarbeitern und Partnern Bäume gepflanzt, „um den Wald im Taunus zu stärken“. VON ANJA PETTER

