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„Frei, aber nicht ganz fair“: Verbrannte Stimmzettel und „schmutzige Tricks“ bei Ungarn-Wahl - was ist dran?

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Von: Florian Naumann

Ungarn-Wahl 2022: Viktor Orban gibt nach der Stimmabgabe ein Statement.
Ungarn-Wahl 2022: Viktor Orban gibt nach der Stimmabgabe ein Statement. © Ladislav Vallach/dpa

Ein Briefwahl-Eklat in Rumänien, „Gerrymandering“, kaum TV-Zeit für die Opposition und OSZE-Warnungen: Wie fair war die Wahl in Ungarn?

Budapest/Târgu Mureș - Ungarn hat am Sonntag ein Parlament gewählt. Klar ist: Um eine alltägliche Wahl handelte es sich nicht. Ein ultra-breites Oppositionsbündnis von links bis extrem rechts sandte den wirtschaftsliberalen Herausforderer Peter Marki-Zay* gegen Amtsinhaber Viktor Orbán* ins Rennen. Allein dieser Vorgang verdeutlicht, wie groß die Sorgen im Oppositionslager sind.

Im Hintergrund schwelt aber auch eine andere Frage: Wie fair und gerecht sind die Wahlen im Land des offen „illiberalen“ Ministerpräsidenten Orbán? 2018 bezeichneten OSZE-Beobachter die Wahl als „frei, aber nicht ganz fair“ - unter anderem wegen der stark von der Regierung bestimmten Medienlandschaft in Ungarn. Doch es geht nicht nur um Chancengleichheit im Wahlkampf: Vor dem Urnengang gab es auch Berichte über mögliche Manipulationen. Die OSZE warnte vorab vor Problemen und sendete offizielle Beobachter. Das gab es zuvor erst einmal bei einer Wahl in der EU*, 2013 in Bulgarien.

Ungarn-Wahl 2022: Eklat um Briefwahl in Rumänien - Opposition fordert Wiederholung

Im Fokus stand zuletzt unter anderem Briefwahl - und ein beispielhafter Eklat: Nahe der zentralrumänischen Stadt Târgu Mureș sei auf einer illegalen Mülldeponie ein Sack ausgefüllter und teils verbrannter ungarischer Stimmzettel gefunden worden, berichtete das regierungskritische Portal telex.hu bereits am Donnerstag. Ein Video des rumänischen Portals Punctul soll die Vorwürfe dokumentieren. Auf einigen der offen sichtbaren Wahlzettel seien Kreuze bei Oppositionsparteien erkennbar gewesen, hieß es.

Laut Telex hat die rumänische Polizei Ermittlungen aufgenommen. Ergebnisse der Untersuchungen liegen offenbar aber noch nicht vor. Es steht der Verdacht im Raum, dass es sich um Briefwahlunterlagen ungarischer Staatsbürger in Rumänien handelt. Mit der Wahl betraute Stellen dementierten Probleme oder Manipulationen auf Anfrage des Portals. Orbáns Partei Fidesz warf der Opposition vor, die Zettel verbrannt zu haben.

Oppositions-Politiker Ákos Hadházy forderte bei einer Anhörung eine Wiederholung der Briefwahl. Das offizielle Wahlkomitee verwies allerdings laut dem Portal hungarytoday.hu darauf, keine rechtliche Handhabe in Rumänien zu besitzen - eine eigene Untersuchung der Vorfälle sei nicht möglich.

Ungarn-Wahl: 2018 gab es 96 Prozent der Briefwahl-Stimmen für Orban - mögliche Gründe

Allerdings gibt es seitens Opposition ohnehin Zweifel, ob bei der Briefwahl alles mit rechten Dingen zugeht: Bei der Parlamentswahl 2018 habe Orbans Fidesz 96 Prozent der Briefwahlstimmen erhalten, aber „nur“ 49 Prozent der Gesamtstimmen, berichtete der US-Sender Bloomberg - die Opposition fordere nun auch, Briefwahlstimmen bei der Auszählung außen vorzulassen.

Auch das allgemeine Prozedere bei der Briefwahl stößt bei der Opposition auf Kritik: Wie unter anderem die Deutsche Welle berichtet, gibt es Unterschiede beim Wahlrecht für ungarische Minderheiten in den Nachbarländern und für Staatsbürger in westlichen Ländern: Erstere, häufig Fidesz-Anhänger, können zur Briefwahl greifen. Zweitere müssen, wenn sie in Ungarn gemeldet sind, in bisweilen weit von ihren Wohnorten entfernten Botschaften und Konsulaten abstimmen. Diese Lage könnte zumindest teilweise die auffälligen Briefwahlergebnisse erklären.

Wahl in Ungarn: Viktor Orban justierte das Wahlrecht - Aktivisten erheben Vorwürfe

Auch an anderer Stelle hatte Orbán zuletzt das Wahlrecht justiert. Ein Gesetz aus dem November erleichtert es Wählern, ihre Adresse für die Wahlregistrierung zu ändern. Die Befürchtung der Opposition: Eine Verschiebung von Fidesz-Wählern in Direktwahlkreise mit knappen Mehrheitsverhältnissen. Vorgeworfen wird dem Ministerpräsidenten auch „Gerrymandering“ - das Neuzuschneiden von Wahlkreisen zugunsten seiner Fidesz. Auch sieht das ungarische Wahlrecht einen Bonus für die stärkste Partei vor. Dass das 2022 erneut Fidesz wird, schien Umfragen zufolge sicher*.

Aktivisten warnten zugleich vor schmutzigen Tricks, die unter Orbans Führung bei Wahlen zur Norm geworden seien. Zsofia Banuta von der Wahlbeobachtungsorganisation Unhack Democracy etwa bezeichnete die Parlamentswahl 2018 als „die unfairste der letzten 30 Jahre, seit dem Ende des Kommunismus“. Nach Interviews mit 170 Wahlhelfern kam die Organisation zu dem Schluss, dass die Wahl damals von „großen Problemen“ begleitet gewesen sei, darunter der Transport von Wählern aus Nachbarländern, Bestechung und Einschüchterung, Fälschung von Briefwahlunterlagen, verschwundene Stimmzettel sowie Software-Ausfälle.

Ungarn-Wahl: OSZE äußerte Bedenken - auch 20.000 Freiwillige im Einsatz

Die OSZE äußerte im Vorfeld der Wahl zahlreiche Bedenken, unter anderem die Parteilichkeit der Medien sowie mögliche Manipulationen bei der Briefwahl. Neben ihren 200 internationalen Beobachtern waren am Sonntag aber auch zehntausende freiwilliger Beobachter im Einsatz.

Die von der Opposition ins Leben gerufene Organisation „20K“ hatte 20.000 Freiwillige rekrutiert, welche die etwa 10.000 Wahllokale Ungarns beobachten sollen. Mitorganisator Peter Muller sagte, es sei das erste Mal, „dass zwei geschulte, von der Opposition beauftragte Beobachter in jedem Wahllokal sind“. Seinem Kollegen Imre Kovacs zufolge waren vor vier Jahren in einem Viertel der Wahllokale keine oder nur ein Beobachter der Opposition zugegen. Auch Budapests Bürgermeister Gergely Karacsony verwies auf die Beobachter - sie sollten eine „transparente“ Wahl garantieren, betonte der Mitte-Links-Politiker am Wahltag.

Ungarn: Sorge um die freien Medien - nur „fünf Minuten“ für die Orban-Opposition?

2018 hatte die ungarische Wahlmission der OSZE vor allem eine mediale Benachteiligung der Opposition gerügt. „Die Wähler hatten eine große Bandbreite an politischen Optionen, aber einschüchternde und xenophobische Rhetorik, mediale Verzerrung und undurchsichtige Wahlkampffinanzierung haben den Spielraum für eine echte politische Debatte eingeschränkt“, erklärte Missions-Chef Douglas Wake damals laut New York Times. Regierungskritische Medien stehen in Ungarn stark unter Druck - zuletzt verlor etwa der Sender „Klubradio“ seine UKW-Lizenz.

Auch diesmal stellte Orban die Ressourcen der Regierung und des Staates ungeniert in den Dienst der Fidesz-Wahlwerbung. Wahlforschern zufolge gab das Fidesz-Lager acht bis zehn Mal so viel Geld für den Wahlkampf aus wie die Opposition. „Die gesamte ungarische Opposition bekommt in vier Jahren fünf Minuten in den öffentlichen Medien“, klagte Marki-Zay vor dem Wahltag. Auch im Interview mit Merkur.de* übte der Herausforderer Kritik: Orban habe ein „ausgeklügeltes System geschaffen und die ungarische Politik verändert“. Daher sei es „sehr schwierig in Ungarn noch von einer Demokratie zu sprechen.“

Die ungarische Regierung dementiert alle Vorwürfe. Sie verwies als Antwort auf die OSZE auf die Orban-freundliche Denkfabrik Centre for Fundamental Rights, welche den Bericht als „substanzlos“ bezeichnet und darin einen Versuch sieht, „der ungarischen Linken im Falle einer Wahlniederlage eine passende Ausrede zu geben“. (fn/AFP) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.

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