Klingbeil ätzt bei Lanz: „Freue mich, dass die CDU größte Oppositionspartei ist und nicht die AfD“

Säcke voller Geld im Europäischen Parlament und eine kuriose Reichsbürger-Razzia – Markus Lanz fragt, warum der Unmut in der Bevölkerung wächst.
Hamburg – Die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Eva Kaili wird mit Plastiktüten voller Geld erwischt. „Es sieht wie einer der nicht selten vorkommenden Korruptionsfälle aus“, sagt Politologe Wolfgang Merkel, und für Journalistin Helene Bubrowski scheint es nur die Spitze des Eisbergs zu sein. „Warum geben die Katari soviel Geld an diese Person?“, fragt sie. Die Griechin habe schließlich „gar nicht soviel Macht“ wie etwa die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sie sieht hier „genau das, was die schlimmsten Verschwörungstheoretiker sich vorstellen“.
Damit ist die Runde mit Moderator Markus Lanz mitten im Thema des Abends: Verschwörungstheorien, Nazis, Rechtsextreme, Konservative und Reichsbürger. Die Begriffe werden vor allem vom offiziell als „Experten“ vorgestellten Tobias Ginsburg wild vermischt. Anlass für die Diskussion ist die große Razzia, die seit Tagen Fragen aufwirft. 3000 Polizeibeamte gegen 25 verdächtige Rentner, eine registrierte Jagdwaffe und Nahrungsmittelvorräte.
Ginsburg selbst, der vor Jahren einmal undercover in die Szene hineingeschnuppert hat, zeichnet ein kurioses Bild der Szene. Er spricht von „New Age-Esoterikern“, Paneuropäern und Adligen, die fürchteten, „ihre Privilegien zu verlieren“. Selbst der Begriff „hohle Erde“ fällt. Die Reichsbürger würden sich ärgern, dass sie kein tausendjähriges Reich bekommen hätten, sondern „nur popelige zwölf“ Jahre.
Mit Markus Lanz diskutierten am 13. Dezember 2022 diese Gäste:
- Lars Klingbeil (SPD-Parteivorsitzender)
- Helene Bubrowski (Journalistin, FAZ)
- Tobias Ginsburg (war undercover in der Reichbürger-Szene)
- Wolfgang Merkel (Politologe)
Klingbeil bei „Lanz“ (ZDF): „Zweifel am Staat werden größer“
„Da ist ja das Geschäftsmodell auch nicht weit“, sagt Lanz, und Ginsburg fährt fort: „Wo Angst ist, da lässt sich richtig Asche machen.“ Der Undercover-Rechercheur zieht eine überraschende Parallele zur Corona-Zeit. Die Demonstrationen gegen staatliche Zwangsmaßnahmen bezeichnet er als „Nebel aus Verwirrung und Existenzängsten“. Masken-Deals, Lockdowns und Impfdruck hätten die Menschen in ihrem Dasein bedroht.
Aber sind die jetzt festgesetzten Reichsbürger nun „einfach nur Maulhelden, irgendwelche Prepper?“, will Bubrowski wissen. Spielen sie womöglich nur mit Zinnsoldaten? Ginsburg kritisiert die Medien: Es sei eben „leicht, einen fünf Minuten-Beitrag über den kuriosesten, schrillsten, wirrsten Typen mit dem blödesten Hut zu machen, der sagt: Ich bin jetzt der Kaiser“. SPD-Chef Klingbeil hat beobachtet, dass in seinem Wahlkreis die „Zweifel am Staat“ größer würden. „Die Unsicherheit in der Gesellschaft nimmt zu“, sagt er. Die Menschen seien abgedriftet in wirre Erklärungen.

Politologe Merkel mahnt zur Besonnenheit. Von einem hervorstehenden Staatsstreich zu sprechen, sei „absurd“. Für Bubrowski ist es dennoch höchste Zeit, die staatliche Kontrolle zu intensivieren. Auch Klingbeil warnt: Diese Menschen hätten sich schließlich getroffen und sie seien bewaffnet gewesen. Er betont es extra nochmal: alle bewaffnet. In diesem Zusammenhang warnt er auch vor der AfD, die er als den „parlamentarischen Arm“ dieser Szene bezeichnet.
Bubrowski ruft nach Massenüberwachung. Für den Staat sei es zu schwierig, zu erkennen, wer gefährlich ist und wer nicht. Merkel hält dagegen: „Wollen wir jetzt alle möglichen Sicherheitsgesetze und Überprüfungen verstärken, oder haben wir einen gut funktionierenden Rechtsstaat?“, fragt er und führt die eigenen Erfahrungen als warnendes Beispiel an. Er selbst wurde als junger Mann Opfer des Radikalen-Erlasses und nicht für eine Sport-Hilfstätigkeit zugelassen, nur weil er den Vietnamkrieg kritisiert hatte.
Bubrowski bei „Lanz“ (ZDF): Razzia war „Ruf nach Liebe und Aufmerksamkeit“
Dass die Razzia operettenhaft inszeniert wurde, stört die Runde an diesem Abend. „Ich hätte mir auch gewünscht, dass das nicht so öffentlich gemacht worden wäre“, sagt Klingbeil. Brubowski erinnert an die Verhaftung von Jörg Kachelmann und des damaligen Postchefs Klaus Zumwinkel. Das Schauspiel mit Dutzenden Reportern und vor laufenden TV-Kameras sieht sie jedoch als „Ruf nach Liebe und Aufmerksamkeit von Seiten der Polizei“.
Lanz stört sich daran, dass alle Verdächtigen unverpixelt und mit Klarnamen veröffentlicht wurden. Hier werde die Unschuldsvermutung verletzt. Bubrowski stimmt zu: „Jemand, der so verhaftet wurde, der wird sich sein Leben lang nicht davon erholen. Es bleibt für immer hängen.“ Ginsburg indes ist für eine harte Hand: „Sie können Verschwörungsideologen so nicht entgegenkommen.“
Merkel: Jede Demokratie muss sich daran messen lassen, wie sie mit ihren Minderheiten umgeht.“
Lanz beklagt die Verengung des Meinungskorridors, die er auch aus eigenen Sendungen kennt. „Wenn ich mich beim Gendern ungeschickt ausdrücke, dann bin ich sofort der dumme Sexist. Und wenn ich Bedenken äußere, dass Migration in diesem Lande nach wie vor etwas ist, das wir irgendwie nicht richtig im Griff haben, dann bin ich sofort ein elender Rassist.“
Merkel gibt ihm Recht. Positionen, die früher lediglich rechts waren, seien heute plötzlich unsagbar. „Wir haben eine Tendenz, den Debattenraum wahnsinnig eng zu machen. Jede Demokratie muss sich daran messen lassen, wie sie mit ihren Minderheiten umgeht.“ Klingbeil stimmt zu: „Es gibt nur noch schwarzweiß, es gibt nur noch ja/nein.“ Ein ätzendes Kompliment hat er noch auf Lager: Er freue sich, „dass die CDU die größte Oppositionspartei ist und nicht die AfD“.
Fazit des Talks bei Markus Lanz (ZDF): Klingbeil wirkt blass
Der rhetorisch sonst so starke Kingbeil wirkte an diesem Abend blass. Niemand nahm ihn in die Zange. So kam er mit Wahlkampfsprech davon. Das Thema Rente, von Lanz zunächst angekündigt, blieb komplett auf der Strecke. Warum die Deutschen plötzlich so viel länger arbeiten sollen, soll in einer späteren Sendung geklärt werden. (Michael Görmann)