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„Das ist ja völlig irre!“ Lebensmittel-Problem entsetzt Lanz

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Die Gäste bei „Markus Lanz“ (ZDF) am 24.05.2022.
Die Gäste bei „Markus Lanz“ (ZDF) am 24.05.2022. © ZDF Mediathek (Screenshot)

Der Ukraine-Krieg bleibt bei „Markus Lanz“ Thema. Am Dienstag in Form einer drohenden Weizenknappheit, die Putin wohl zu seinen Zwecken verschärft.

Hamburg – Eigentlich war für Dienstagabend bei „Markus Lanz“ Ex-Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) angekündigt. Doch Gabriel fand sich nicht im ZDF-Latenight-Talk ein, offenbar spontan besteht die Runde aus nur drei Gästen. Was es mit dem Fernbleiben Gabriels auf sich hat, erklärt Lanz in der Sendung nicht.

So debattieren der Migrationsforscher Gerald Knaus, die Wirtschaftswoche-Journalistin Cordula Tutt und der Agrarökonom Matin Qaim ohne Deutschlands ehemaligen Außenminister über tatsächliche und mögliche Folgen des Ukraine-Kriegs. Lanz nutzt Gabriel in dessen Abwesenheit dennoch als Stichwortgeber – so warne der Sozialdemokrat davor, dass die Weltgemeinschaft „auf einen neuen eisernen Vorhang“ zulaufe.

Ukraine in den Westen eingliedern? Migrationsforscher Knaus bei „Markus Lanz“: „Der historische Moment ist jetzt“

Knaus erklärt am Beispiel Schwedens, das sich nach 200 Jahren der Neutralität auf die Nato zubewegt, dass es in einem „neuen Kalten Krieg“ kaum Raum für Länder gebe, sich im „Niemandsland“ zu positionieren. Russland werde „nichts unversucht lassen“, ehemalige Sowjetstaaten wie Moldau, Georgien und die Ukraine zu zermürben. Entscheidend sei, auf welche Form des Zusammenlebens Europa sich künftig einigen wolle und ob es in der Lage sei, diese Staaten bei der Stabilisierung ihrer Demokratien zu unterstützen. „Dieser historische Moment ist jetzt da“, meint Knaus.

Deutschlands Energieabhängigkeit von Russland sei, befindet Tutt, der Naivität und Ignoranz deutscher Politiker geschuldet. Zu lange sei von privatwirtschaftlichen Entscheidungen gesprochen worden, etwa beim Bau der Pipeline Nord Stream 2 – was nicht zuletzt Sigmar Gabriel als Vizekanzler der Bundesrepublik mitzuverantworten habe. Lediglich die Grünen hätten vor den Folgen gewarnt, komplette Lieferketten von Russlands Gaslieferungen abhängig zu machen, stellt Tutt fest.

Deutschlands Abhängigkeit von russischen Rohstoffen bei „Markus Lanz“ in der Debatte: „Das ist kein Zufall“

Dass sich etwa der Konzern BASF mutwillig in diese Abhängigkeit begeben habe, um Gasförderrechte in Russland zu erhalten, könne „aus der Sicht eines Unternehmens“ durchaus Sinn machen, erklärt Wirtschaftsjournalistin Tutt Lanz die möglichen Motive des Chemie-Riesen. Knaus erinnert daran, dass zahlreiche ehemalige Spitzenpolitiker bis zum russischen Überfall auf die Ukraine für russische Staatskonzerne gearbeitet haben. Zwar gebe es Politiker, die sich nicht hätten „verführen lassen“, doch dass Russland politische Abhängigkeiten schaffen wollte, folge einem Muster und sei kein Zufall.

„Markus Lanz“ - das waren seine Gäste am 24. Mai:

Gastgeber Lanz holt Qaim mit der Überlegung in die Diskussion, Russlands Präsident Wladimir Putin verfolge das Ziel, afrikanische Staaten mit ausbleibenden Weizenlieferungen zu destabilisieren – und so den Migrationsdruck auf Europa zu erhöhen. Tatsächlich seien viele Länder in Nordafrika und im Nahen Osten von Getreideimporten aus der Ukraine und Russland abhängig, sagt Qaim: „Wir reden über 25 Länder in dieser Region, die mehr als 50 Prozent ihrer gesamten Weizenimporte aus der Ukraine und aus Russland tätigen. Das sind viele hundert Millionen Menschen, die letztlich davon betroffen sind.“

Der Umstand, dass große Mengen von Weizen, Mais und Palmöl entweder als Tierfutter oder Biosprit enden, ist nicht nur Qaim ein Dorn im Auge. Der Agrarökonom rechnet vor, dass jährlich etwa sieben Millionen Tonnen Palmöl nach Europa importiert würden, von denen die Hälfte in Autotanks landet. Talkmaster Lanz findet: „Das ist grotesk!“ Qaim stimmt zu und sagt: „Das passiert ja nicht, weil es wirtschaftlich so sinnvoll ist, sondern weil die Politik vor etwa 20 Jahren Beimischungsquoten erlassen hat.“

Lanz verliert angesichts drohenden Hungers fast die Fassung: „Bin ich der Einzige, der das pervers findet?“

„Man hatte das Kalkül, dass das gut fürs Klima sei“, erklärt Qaim weiter. Es habe sich jedoch herausgestellt, dass diese Rechnung nicht aufgehe – allenfalls aus Sicht des nationalen Klimabudgets. Schließlich würden zerstörte Regenwaldflächen Ländern wie Indonesien angerechnet und nicht Deutschland. Gastgeber Lanz kann es kaum glauben: „Das ist ja völlig irre! Bin ich der Einzige, der das pervers findet?“ Tutt antwortet dem aufgebrachten Moderator mit einer nüchternen Analyse: „Das sind alles die Folgen unserer Art zu Leben und zu wirtschaften.“

Russland verschärfe das Problem, indem es aktuell ukrainische Getreidelager plündere, erklärt Lanz zu den Bildern von durch Mariupol fahrenden Lastwagen. Qaim sagt: „Wir haben geschätzt in der Ukraine in den Silos noch 27 Millionen Tonnen Getreide liegen, die nicht raus können.“ Der Agrarökonom führt weiter aus, wie Putin afrikanischen Ländern erkläre, der Westen und dessen Handelssanktionen seien schuld an der Situation. Gleichzeitig liefere Russland schließlich doch Getreide und inszeniere sich somit als „Retter in der Not“. Qaim befürchtet: „Wir laufen in eine große Problematik, die jetzt zu Knappheiten auf dem Weltmarkt führt bei Getreide, die sich aber in den kommenden Wochen und Monaten weiter dramatisieren wird.“

„Markus Lanz“ - Das Fazit der Sendung

Bei „Markus Lanz“ fällt am Dienstagabend mehrfach der Name des ehemaligen deutschen Vizekanzlers Sigmar Gabriel (SPD). Der war noch am Nachmittag als Gast der Sendung angekündigt, saß letztlich jedoch nicht in der Runde. Ohne den ehemaligen SPD-Vorsitzenden sprechen der Migrationsforscher Gerald Knaus, die Journalistin Cordula Tutt und der Agrarökonom Matin Qaim über das große Thema staatlicher Abhängigkeiten. Von fossilen Rohstoffen und Nahrungsmitteln über das Klima bis zur Inflation und der Weltwirtschaft: Russland verstehe es, den Druck auf Europa und den Westen zu erhöhen – darin ist sich die Runde einig. Talkmaster Markus Lanz stellt ernüchtert fest: „Da kommt gerade einiges zusammen.“ (Hermann Racke)

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