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Putins taktischer Doppelschlag: Wie der Kreml mit den Blitz-Referenden den Krieg beeinflussen will

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Von: Andreas Schmid

Wladimir Putin
Kremlchef Wladimir Putin hat weitere Militärschläge gegen die Ukraine angekündigt. © Sergei Bobylev/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

Die vier Referenden über eine Russland-Annexion könnten den Ukraine-Krieg verändern. Die Reaktionen auf Putins „Krim-Szenario“ sind eindeutig.

Moskau – Wladimir Putin plant Referenden in mehreren ukrainischen Regionen. Die teils besetzten Donbassgebiete Luhansk und Donezk sollen bald ebenso zu Russland gehören wie Cherson und Saporischschja. Noch im September sollen die Menschen über eine Annexion durch Russland abstimmen – wobei das Referendum den bisherigen Erfahrungen nach mit einer freien Wahl nichts zu tun haben wird. Das Ergebnis steht wohl schon jetzt fest.

Putin-Referenden in der Ukraine: Vier Gebiete sollen russische werden

Dass Putin Referenden abhalten will, war bekannt. Schon bei der Halbinsel Krim diente eine von den Vereinten Nation als völkerrechtswidrig eingestufte Abstimmung als Begründung für die Annexion – und markierte einen Meilenstein in der Zuspitzung des Ukraine-Konflikts. Die russische Propagandistin Margarita Simonyan, Chefredakteurin bei RT (früher: Russia Today) lobte die Referenden daher auch als „Krim-Szenario“.

Experten gingen bisher davon aus, dass Putins Separatisten und Besatzungsverwaltungen die neuen Referenden erst dann abhalten werden, wenn Russland die Gebiete erobert hat. Der 4. November, russischer „Tag der Einheit des Volkes“, galt als möglicher Termin für die Abstimmung. Da es nach der ukrainischen Gegenoffensive jedoch nicht nach rascher russischer Gebietskontrolle aussieht, scheint Putin seinen Plan geändert zu haben.

Von 23. bis 27. September finden die Referenden statt. Los geht es also schon diesen Freitag. Die im Donbass von prorussischen Separatisten unterstützten Abstimmungen sollen die Gebiete von der Ukraine lösen. International kontrolliert werden die Referenden nicht. Russland entscheidet also selbst über das Ergebnis, das 2014 wohl auch durch die Androhung von Waffengewalt beeinflusst wurde. „Wenn ich Ihnen die Pistole an den Kopf halte und frage: sind Sie dafür oder dagegen? Dann könnte ich mir vorstellen, dass Sie dafür sind“, sagte FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann am Dienstagabend im ARD-Talk „Maischberger“.

Es ist davon auszugehen, dass Russland die vier betroffenen Regionen anschließend völkerrechtswidrig zu eigenem Territorium erklären wird. Das würde zwar wohl nur von wenigen internationalen Staaten anerkannt werden – birgt im Kriegsverlauf aber eine neue Brisanz.

Russland schürt Atomwaffen-Angst: Medwedew spricht von „allen Methoden der Verteidigung“

Sollten in den Gebieten nach der Annexion weitere Kampfhandlungen stattfinden, könnte Russland argumentieren, dass ihr Staatsterritorium angegriffen wird. Putin hätte damit eine Begründung für den Krieg, der in Russland nach wie vor „Spezialoperation“ genannt wird. Die jüngst angekündigte Generalmobilmachung wäre obendrein leichter. „Putins illegale Annexion des besetzten ukrainischen Territoriums wird die innerstaatliche juristische Definition von ‚russischem‘ Territorium nach russischem Recht erweitern“, schreibt das Institute for the Study of War (ISW).

Angst schürt der Kreml zudem vor einer weiteren Eskalation: vor dem Einsatz von Atomwaffen. Diesen sieht die russische Militärdoktrin nur zur Verteidigung des eigenen Landes vor. Russlands Ex-Präsident Dmitri Medwedew kündigte bereits an, dass Russland nach Annexion „alle Methoden der Selbstverteidigung“ anwenden dürfe. „Der Kreml beabsichtigt wahrscheinlich, mit diesen vagen Warnungen die ukrainischen und weltweiten Ängste vor einer nuklearen Eskalation zu verschärfen“, schreiben die Militärexperten des ISW.

Nach Ansicht britischer Militärexperten will der Kreml mit den Referenden einem Gegenangriff durch Kiew zuvorkommen. Das geht aus dem täglichen Geheimdienst-Update zum Ukraine-Krieg des britischen Verteidigungsministeriums hervor. „Diese Eile ist wohl getrieben von Befürchtungen eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs und der Erwartung größerer Sicherheit nach einer formalen Eingliederung in Russland“, hieß es in der Mitteilung.

Ukraine-Krieg: Westen verurteilt „Scheinreferenden“ - und will sie nicht akzeptieren

Der Westen – von Bundeskanzler Olaf Scholz bis zu US-Präsident Joe Biden oder Frankreichs Präsident Emmanuel Macron – sprach geschlossen von „Scheinreferenden“. Es sei „ganz, ganz klar, dass diese Scheinreferenden nicht akzeptiert werden können“, sagte Scholz am Rande der UN-Generaldebatte in New York. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach von einer „weiteren Eskalation“ Putins. Das Weiße Haus betonte, die USA würden eine Annexion der ukrainischen Gebiete durch Moskau „niemals“ anerkennen.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bewertet die Referenden als illegal. „Die Resultate hätten deshalb keine rechtliche Wirkung“, betonten der OSZE-Vorsitzende und polnische Außenminister Zbigniew Rau. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell drohte bereits mit weiteren Sanktionen gegen Russland.

Ukraine-Referenden: „Russische Panik“ - so reagiert Kiew auf die neuen Putin-Pläne

Mit diesem Gegenwind muss Putin gerechnet haben. Die Kritik aus dem Westen scheint einkalkuliert. Die Drohungen mit Atomwaffen sollen nach Ansicht mehrerer Militärexperten Druck auf den Westen und auch Kiew machen. Die Ukraine reagierte bisher vergleichsweise gelassen auf die Entwicklungen.

 „Unsere Position ändert sich nicht durch Lärm oder irgendwelche Ankündigungen“, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj vor den Vereinten Nationen. Das ukrainische Außenministerium erklärte die Organisation der Scheinreferenden für strafbar. Wer einen russischen Pass beantrage, müsse mit bis zu 15 Jahren Haft rechnen „Jedwede Beteiligung an den „Referenden“ wird als Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine gewertet“, schrieb der Berater des Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak am Dienstagabend auf Twitter.

Der ukrainische Politikwissenschaftler Wolodymyr Fessenko bezeichnete die Scheinreferenden bei ntv als eine „Manifestation der Hysterie und Panik aufgrund der Niederlagen der russischen Truppen in der Ukraine“. Das habe allerdings zur Folge, dass derzeit ohnehin nicht absehbare Friedensverhandlungen noch unwahrscheinlicher werden. „Präsident Selenskyj hat mehrmals betont: Eine Austragung von Pseudoreferenden auf besetztem Gebiet würde bedeuten, dass jegliche Verhandlungen mit Russland komplett vom Tisch sind.“ (as)

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