Hochstimmung im Kreml, Meuterei in der Armee? Insider berichten von Plan für zweiten Kiew-Sturm
Moskau frohlockt über Gebietsgewinne im Donbass. Jetzt soll der Kreml wieder Kiew ins Visier nehmen. Doch erlaubt der Zustand der russischen Armee das? Es ist von Meutereien die Rede. Aber auch die Ukrainer haben große Verluste zu beklagen.
München/Kiew - Es sind bittere Zahlen. Der ukrainische Generalstab und die britische Regierung beziffern die Verluste Russlands im Ukraine-Krieg mittlerweile auf mehr als 30.000 Soldaten. Das berichteten das Medienprojekt The Kyiv Independent und die „Tagesschau“ der ARD zuletzt übereinstimmend.
Die ukrainische Armee rechnet vor, dass auf einen gefallenen Ukrainer drei getötete russische Soldaten kämen. Und dennoch machten die Invasionstruppen Moskaus im Donbass zuletzt derartige Fortschritte, dass der Kreml bereits neue Angriffspläne schmieden soll. Laut offiziellen ukrainischen Angaben sind inzwischen mehr als 95 Prozent der Region Luhansk unter russischer Kontrolle. Unabhängig überprüfen lassen sich all diese Informationen nicht.
Ukraine-Krieg: Plant Moskau einen zweiten Angriff auf Kiew?
Konkret: Das Nachrichtenportal Meduza berichtet, dass der Kreml einen zweiten Angriff auf die Hauptstadt Kiew mit ihren rund 2,8 Millionen Einwohnern erwägt. Mehr noch: Es gebe in der Regierung von Russland-Machthaber Wladimir Putin die Hoffnung, „dass ein umfassender Sieg in der Ukraine vor Ende des Jahres möglich ist“.
Meduza beruft sich in seinem Bericht auf nicht namentlich genannte Informanten. Es soll sich um „zwei dem Kreml nahestehende Quellen und eine weitere Quelle innerhalb der Putin-Regierung“ handeln. Ihnen zufolge habe die russische Regierung „minimale und maximale Richtwerte für die Erklärung einer erfolgreichen und abgeschlossenen ‚militärischen Spezialoperation‘“ definiert. Das Minimum sei die Eroberung des Donbass.
Ukraine-Krieg: Russische Durchbrüche im Donbass, Raketenbeschuss bei Charkiw
Auch östlich der Metropole Charkiw, mit rund 1,4 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt, geriet die Gegenoffensive der einheimischen Streitkräfte ins Stocken. Laut ZDF hat Russland mehrere Dörfer zurückerobert. Das deckt sich mit einer Reportage der SZ, in der ein ukrainischer Front-Kommandeur von erheblichem russischen Raketen- und Artilleriebeschuss in der Region schildert. Er bekommt das Pseudonym Danylo, weil er namentlich nicht genannt werden will. „Durchhalten, bis neue Waffen kommen“, sei die Devise, erklärt der Oberleutnant der Territorialverteidigung der deutschen Tageszeitung: „Wir haben noch Reste der ukrainischen Bestände, aber für die Gegenoffensive brauchen wir Waffen aus dem Westen.“
Im Donbass im Südosten sind russische Truppen laut ZDF bei Popasna und Lyman durchgebrochen, die ukrainischen Verbände in Sewerodonezk-Lisitschansk könnten zeitnahe eingekesselt werden. Damit nicht genug. Derzeit läuft eine russische Offensive auf die Stadt Bachmut, die vor dem Angriff des östlichen Nachbarn etwa 70.000 Einwohner hatte. Auch nordwestlich von Cherson wird heftig gekämpft. Präsident Wolodymyr Selenskyj bezifferte die Verluste der Ukraine jüngst auf bis zu 100 getötete Soldaten am Tag.

Aber: Frohlockt Moskau, während der Zustand der eigenen Armee einen zweiten Sturm auf Kiew gar nicht erlaubt? Berichte über angebliche Nachschubprobleme, mutmaßliche Befehlsverweigerungen und bittere Verluste gibt es mittlerweile zuhauf. Zumindest aus dem Westen. An diesem Montag (30. Mai) erklärte das britische Verteidigungsministerium via Twitter: „Russland hat in dem Konflikt wahrscheinlich verheerende Verluste in seinen mittleren und unteren Offiziersrängen erlitten.“
Ukraine-Krieg: Neuer Bericht über erhebliche russische Verluste
Demnach stünden Brigade- und Bataillonskommandeure weit vorne an der Front, unter anderem, weil sie von Moskau persönlich für „Erfolge“ oder Niederlagen verantwortlich gemacht würden. Diese Verluste könnten zu einem Mangel an Disziplin und zu einer schwachen Moral innerhalb der Invasionstruppen führen. Laut britischem Verteidigungsministerium gibt es glaubwürdige Berichte über vereinzelte Meutereien. Die Mobilisierung alter T-62-Panzer soll laut ZDF darauf hindeuten, dass Russland bald Reservisten einsetzt. Meduza zufolge sei das Ziel ein „Zermürbungskrieg“. In dem Moskau weitaus größere Teile der Ukraine erobern würde?
„Für den Kreml zählt das Leben eines Soldaten nichts“, erklärt Oberleutnant Danylo der SZ: „Russland hat mehr Technik, mehr Personal. Einen Abnutzungskrieg können wir nicht gewinnen.“ (pm)