Dienstag,
08.10.2019 - 16:00
5 min
"Nachlassen gilt nicht"

KASSEL/WETZLAR - Pepe ist zu Beginn des Handy-Telefonats nur ganz kurz im Hintergrund zu hören. Dann kümmert sich Mama Mona um den fünf Monate alten Sohn der Familie Schneider. Timm, der stolze Papa, nimmt sich derweil die Zeit, um über das bevorstehende Derby in der Handball-Bundesliga zu sprechen. Wenn die HSG Wetzlar am Sonntag (16 Uhr) in der Rittal-Arena auf die MT Melsungen trifft, dann ist das für den 31-Jährigen im Trikot der Nordhessen fast wie ein Heimspiel.
Schneider, in Gießen geboren und durch seine in Pohlheim lebenden Eltern nach wie vor mit Mittelhessen verbunden, wird auf der Tribüne alte Freunde und Bekannte entdecken, auf dem Feld aber für die Melsunger in den mit Spannung erwarteten 60 Minuten gegen seinen Ex-Verein, bei dem er von 2007 bis 2010 unter Vertrag stand, Vollgas geben. Um mitzuhelfen, dass die MT ihren Lauf von zuletzt fünf Siegen in Folge auch an der Lahn fortsetzt.
Timm Schneider, die MT Melsungen ist die Mannschaft der Stunde in der Handball-Bundesliga. Zuletzt der Pokal-Achtelfinalerfolg in Leipzig und dann am Sonntag Tabellenführer Hannover-Burgdorf die erste Saisonniederlage zugefügt. Warum läuft es gerade so rund?
Wir sind uns alle einig, wie wir spielen wollen. Wir kämpfen füreinander, motivieren uns gegenseitig, sind in einem kleinen Flow drin. Da läuft alles ein bisschen leichter von der Hand. Aber Nachlassen gilt nicht. In der Bundesliga darf man kein Spiel unter 100 Prozent angehen und keinen Gang rausnehmen, sonst geht der Schuss ganz schnell nach hinten los.
So wie bei der überraschenden Niederlage Anfang September in Balingen. War die hohe 23:36-Pleite dort der Weckruf?
Nach dieser Niederlage ist ziemlich viel Kritik auf unsere Mannschaft niedergeprasselt. Natürlich wussten wir, was wir in Balingen für einen Mist zusammengespielt haben. Aber wir haben das, was von außen kam, nicht an uns herangelassen, sondern viele interne Gespräche geführt. Nur so ist es auch zu erklären, dass wir vier Tage später den SC Magdeburg in eigener Halle geschlagen haben. Da haben wir in Abwehr und Angriff ganz anders agiert. Es war wichtig, uns schnell zu rehabilitieren.
Sie sprachen gerade von Abwehr und Angriff. Womit wir bei Ihrer Rolle in der aktuellen Melsunger Mannschaft sind. Wie würden Sie die beschreiben?
Ich spiele vorwiegend am Kreis und in der Abwehr. Wobei ich natürlich viel lieber auf Rückraum Mitte oder im linken Rückraum mehr Einsatzzeiten hätte. Die Entscheidung unseres Trainers (Heiko Grimm, Abnm. d. Red.) muss ich so akzeptieren und versuche, das Beste draus zu machen. In der Vorbereitung auf die vergangene Saison musste ich nach der Verletzung von Michael Allendorf ständig auf Linksaußen spielen. Auch das habe ich akzeptiert. Ich bin eben ein Allrounder. Das ist ein großes Plus, kann aber auch ein Manko sein.
Auf Rückraum Mitte hat die MT neben Ihnen noch Domagoj Pavlovic und vor allem Lasse Mikkelsen. Letzterer trumpft gerade groß auf. Was ist er für ein Typ?
Lasse ist ein sehr angenehmer Mitspieler. Einer, der nicht viele große Worte verliert, aber ehrgeizig ist und unser Spiel ankurbelt. Wir alle drei haben unsere Stärke und unseren eigenen Stiefel als Spielmacher. Das ist sicher nicht so schlecht.
Am Sonntag geht's mal wieder nach Wetzlar und in die Heimat. Auf was für ein Spiel dürfen sich die Fans beider Teams freuen?
Auf ein Derby, das sicher wieder von einer hitzigen Atmosphäre geprägt sein wird. Es wird viele Nickligkeiten geben, den einen oder anderen saftigen Spruch hin und her. Wir müssen eine gute Abwehr stellen und unsere Tempogegenstöße laufen. Gleichzeitig gilt es, leichte Tore der HSG zu verhindern. Und Geduld zu bewahren, denn Wetzlar ist ja bekannt für seine langen Positionsangriffe.
Überrascht Sie, dass die HSG schon neun Pluspunkte auf ihrem Konto hat?
Nein. Die Mannschaft ist erstmals seit vielen Jahren fast unverändert zusammengeblieben und wirkt eingespielt. Kai Wandschneider macht als Trainer einen Riesenjob. Da kann ich nur den Hut ziehen. Die Wetzlarer sind immer gefährlich und machen sich manchmal kleiner, als sie tatsächlich sind.
Apropos klein. Sie sind seit fünf Monaten stolzer Papa von Pepe. Hat sich das Leben bei Ihnen durch Ihren Sohn verändert?
Na klar. Jeder Tag mit ihm ist für Mona und mich aufregend und schön. Dazu unsere zwei Hunde. Es ist High Life hier. Wir fühlen uns in Kassel-Wilhelmshöhe, wo wir wohnen, pudelwohl. Pepe kommt jetzt bald in die Kita. Ich könnte mir vorstellen, dass wir hier noch länger bleiben.
Aber Ihr Vertrag bei der MT Melsungen läuft im Sommer 2020 aus ...
Das ist richtig. Deshalb bin ich auch nicht der einzige Entscheider, wenn es darum geht, wo ich weiter Handball spiele. Ich könnte mir durchaus vorstellen, meine Karriere bei der MT fortzusetzen und sie auch hier zu beenden.
Inwieweit gibt es denn noch Kontakt in die mittelhessische Heimat?
Wir haben viele Freunde. Meine Eltern wohnen noch in Pohlheim, die sind bei allen unseren Heimspielen in Kassel live dabei. Monas Eltern leben inzwischen in der Schweiz, ihre Mama ist aber gerade zu Besuch. Von daher reißt der Kontakt nach Hause nicht ab.
In der Rittal-Arena wartet am Sonntag auch ein Stück Heimat. Ist dieses Derby nach wie vor etwas Besonderes für Sie?
Natürlich. Ich merke, dass die Anspannung vor der Partie am Sonntag schon steigt. Aber während des Spiels blende ich die äußeren Einflüsse komplett aus. Zumindest versuche ich es.
Und wie geht's aus?
Wir wollen gewinnen und unseren Lauf fortsetzen. Alles andere zu behaupten, wäre aus meiner Sicht Quatsch. Insgesamt wollen wir so lange wie möglich oben dranbleiben. Das geht aber nur, und damit fünf Euro ins Phrasenschwein, wenn wir von Spiel zu Spiel denken.
Das Interview führte
Volkmar Schäfer.
Volkmar Schäfer.