Eiskalt Chancen nutzen

Hochtaunuskreis. Die deutschen Fußballerinnen haben sich in die Herzen der Fans gespielt - nicht erst seit ihrem 2:1-Erfolg gegen Frankreich, mit dem sie sich für das Finale der Europameisterschaft qualifiziert haben. Dort treffen Popp und Co. am Sonntag um 18 Uhr auf Gastgeber England. Wie werden die deutschen Auftritte bei den heimischen Teams aufgenommen und was bedeuten sie für den Frauenfußball?
Unser Redakteur Wolfgang Bardong sprach mit Vanessa Tächl (SG Westerfeld/24, offensives Mittelfeld, studiert in Frankfurt Sportwissenschaften) und Aylin Witt (1. FFV Oberursel/29, Angriff, bei den Fraport Skyliners im Management der Jugendabteilung beschäftigt).
Wie war Ihre Reaktion am Mittwochabend nach dem Abpfiff des Halbfinales gegen Frankreich?
Vanessa Tächl: Als wir das 1:1 bekamen, dachte ich, es ist vorbei. Aber toll, wie wir die Druckphase der Französinnen dann überstanden und noch das 2:1 erzielt haben.
Aylin Witt: Wahnsinn - am Ende war es ja noch mal super spannend. Da hatte ich Sorge, dass Frankreich womöglich noch zum 2:2 ausgleicht. Am Ende war unser Sieg aber absolut verdient.
Wo haben Sie mitgefiebert?
Tächl: Wie alle anderen EM-Spiele auch: vor unserem Clubheim.
Witt: Zu Hause, im Kreise der Familie.
England - Deutschland am Sonntagabend vor 90 000 Zuschauern im Wembley-Stadion. Treffen die zwei besten Teams aufeinander?
Tächl: Auf jeden Fall. England und Deutschland - das werden auch neutrale Fußballfans bestätigen - ist das Beste, was diese EM zu bieten hat.
Witt: England hat sich das Endspiel durch sehr souveräne Ergebnisse verdient. Man hatte die Gastgeberinnen ohnehin auf dem Schirm. Wer aber wie wir mit einem derartigen Siegeswillen spielt und eiskalt seine Chancen nutzt, gehört ebenfalls ins Finale.
Wenn Sie aus dem deutschen Team drei Spielerinnen herausheben müssten - wen?
Tächl: Lena Oberdorf, weil sie im Mittelfeld jeden Zweikampf gewinnt. Dann Marina Hegering. Dass sie in der Abwehr nach so langer Verletzungspause solch eine Klasseleistung zeigen würde, war nicht zu erwarten. Ja, und dann natürlich Alex Popp.
Witt: Alex Popp, ganz klar. Nicht nur wegen ihrer Tore, sondern generell für ihre Einstellung. Kaum im Angriff, klärt sie auch schon hinten einen Ball. Super auch, was Lena Oberdorf zeigt. Wie sie mit ihren jungen Jahren den Laden souverän zusammenhält und alles abräumt - super. Und Clara Bühl bringt auf den Außenbahnen unglaublich viel Tempo ins Angriffsspiel.
Wird sich das Auftreten der deutschen Mannschaft nachhaltig auswirken?
Tächl: Es wird auf jeden Fall einen kleinen Boom geben. Da bin ich mir ganz sicher.
Witt: Die EM wird dem Frauenfußball in Deutschland einen Schub verleihen, nicht nur medial. Man wird erkennen, dass es unser Sport verdient, wenn noch mehr Geld in ihn gesteckt wird.
Erwarten Sie auch bei ihrem Verein einen EM-Boom?
Tächl: Ja. Die Phase der Nachwuchsprobleme ist vorbei. Mädels zwischen zwölf und 14, die die EM verfolgen, werden Lust haben, es selbst mal zu probieren.
Witt: Das eine oder andere Mädchen wird durch die EM dazukommen. Bei uns ist die Nachfrage ohnehin groß. Alle Jugendmannschaften sind besetzt, manche doppelt.
Wie stehen Sie dem Thema »Equal Pay« gegenüber - gleiches Geld für fußballspielende Frauen und Männer?
Tächl: Bis dahin ist es noch ein langer, langer Weg. Mir geht es aber eigentlich gar nicht darum, dass jetzt auch Frauen Millionen scheffeln. Vielmehr müssten erst mal ordentliche Trainingsbedingungen geschaffen und vieles generell professioneller gestaltet werden.
Witt: Würde man nur die Rahmenbedingungen verbessern - dass etwa Frauen in der 1. und 2. Bundesliga alleine vom Fußball leben könnten, wäre schon viel gewonnen.
Was nehmen Sie von den Spielen der deutschen Mannschaft in Ihr Team mit?
Tächl: Wir haben alle deutschen Spiele intern im Public Viewing verfolgt. Dazu noch mit der kompletten Nachwuchsabteilung U8 bis U16 das früh liegende Vorrundenspiel Nordirland gegen Österreich. Was uns durchweg auffiel: der ausgeprägte Teamgeist der deutschen Mannschaft.
Witt: Dass es zum Erfolg nicht unbedingt die besten Spielerinnen braucht. Vielmehr ist es das Kollektiv, das mit unbedingtem Siegeswillen und Zusammenhalt Berge versetzen kann.
Saisonstart ist für Ihre Klubs erst am zweiten September-Wochenende. Seit wann trainieren Sie wieder?
Tächl: Letzten Samstag war Trainingsstart. Am 6. August testen wir gegen den 1. FFC Runkel. Im Pokal geht’s dann am 27. August zum EFC Kronberg.
Witt: Wir sind seit gestern wieder im Training. Unser Kreispokalspiel führt uns am 27. August zum SV Seulberg.
Wo schauen Sie das Finale?
Tächl: Natürlich wieder im Kreise der Mannschaft. Und weil’s schon im ersten EM-Spiel Glück brachte: in Deutschland-Trikots.
Witt: Mit ein paar Freunden. Vielleicht läuft uns ja noch ein Public Viewing über den Weg.
Wie geht’s am Sonntag aus?
Tächl: Es wird 2:1 für unsere Mädels ausgehen.
Witt: Nach 120 Minuten wird es 2:2-Unentschieden stehen. Und weil England keine Elfmeter kann, gewinnen wir dann das Elfmeterschießen.

