Rückschläge und Top-Resultate

Vom Nachwuchs bis zum Hochleistungssportler hält die Leichtathletik-Szene des Hochtaunuskreises alle Facetten dieser faszinierenden Sportsparte parat. Zwei aus der Region, die zur Riege der deutschen Topathleten zählen, haben eine Saison hinter sich, die von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt reicht.
Mit einem Comeback ist es immer so eine Sache. Man war länger weg vom Geschehen, hat trotzdem versucht, irgendwie die Form zu halten, und hatte wenig Möglichkeiten, den aktuellen Leistungsstand unter Wettkampfbedingungen zu überprüfen. Auch mental sicherlich keine einfache Situation für Leistungssportler. Fragen wie »Bin ich wieder richtig fit?« oder »Kann ich an mein altes Niveau anknüpfen?« geistern sicherlich ständig durch den Kopf.
Mit dieser Situation sah sich fast die komplette Saison 2022 Sven Wagner konfrontiert. Der Topmittelstreckler vom Königsteiner LV hat ein wahres Seuchenjahr hinter sich, das letztlich aber doch überaus versöhnlich endete. Der Bundeskaderathlet machte bereits an die Hallensaison 2021/22 wegen einiger Wehwehchen einen Haken. Im Freien sollte es dann wieder richtig losgehen. Im ersten Quartal ging es langsam aufwärts. Im Trainingslager in Südafrika dann der erste Rückschlag. Eine Blase am Fuß entzündete sich. Der Infekt war so massiv, dass Antibiotika nötig waren. Der vorzeitige Rückflug war die Folge. Im Flieger holte sich der Mittelstreckler dann noch eine dicke Erkältung, und der Fuß brauchte lange, ehe er wieder belastbar war. Der KLVler war gerade wieder einigermaßen in der Spur, als er mit seinem Rad auf dem Weg zum Training schwer stürzte und dabei einige Zähne einbüßte. Später kam noch eine Corona-Infektion dazu.
Erst Ende Juli zurück in der Spur
Es war dann schon Ende Juli, als der Psychologiestudent bei der U23-DM in Wattenscheid nach monatelanger Pause wieder die Wettkampf-Spikes schnürte. Mit einem sechsten Platz über 1500 Meter gelang das Comeback, wobei die Zeit in einem taktischen Rennen mit knapp über vier Minuten vollkommen uninteressant war. Richtig krachen ließ es Wagner dann beim internationalen ISTAF-Meeting in Berlin, wo er sich auf international wertvolle 3:38,50 Minuten (persönliche Bestzeit und Kreisrekord) steigerte und knapp zwei Wochen später bei einem Abend-Meeting in Pfungstadt mit überragenden 3:37,79 Minuten noch einen draufsetzte. Das KLV-Ass führt mit dieser Zeit die deutsche Bestenliste (Altersklasse U23) souverän an und ist mit 8:10,43 Minuten (ebenfalls Kreisrekord) zudem noch schnellster U23 über 3000 Meter. Dank dieser Topleistungen beim Comeback sicherte sich Wagner den Verbleib im Nationalkader und die damit verbundene Förderung für Spitzenathleten. Wagner, der vor ein paar Tagen 21 Jahre alt geworden ist, hat auch 2023 noch ein Jahr in der U23 vor sich und will über die 1500 Meter in Richtung 3:35 Minuten marschieren.
Komplett anders sah der Saisonverlauf bei Vanessa Grimm aus. Die Siebenkampf-Spezialistin, ebenfalls im KLV-Trikot unterwegs, kam gut durch den Winter. In einem Jahr mit einer WM (Eugene) und EM (München) wollte Grimm in Sachen Qualifikation frühzeitig für klare Verhältnisse sorgen.
Knieverletzung stoppt Grimm
Die Form vor dem ersten großen Wettkampf in Ratingen stimmte, doch eine Corona-Infektion machte einen Start im deutschen Mehrkampf-Mekka unmöglich. Beim internationalen Hypobank-Meeting in Götzis (AUT) musste es also passen - und es passte. Und wie. Grimm startete voll durch, belegte mit der neuen persönlichen Bestmarke von 6323 Punkten (natürlich auch Kreisrekord) als beste deutsche Athletin in einem hochklassigen Feld den dritten Platz. Damit war auch die Norm für die EM in München abgehakt und der Start bei der WM war durch genügend Punkte im sogenannten World-Ranking in trockenen Tüchern.
Dann das bittere Aus bei einem Testwettkampf, nur ein paar Wochen vor dem Abflug ins Trainingslager zur WM-Vorbereitung nach Santa Barbara (USA). Die KLVlerin testete sich im Rahmen der hessischen Jugendmeisterschaften (außer Konkurrenz) im Speerwerfen. Der Disziplin-Check gelang mit der neuen persönlichen Bestweite von 46,03 Meter auch. Noch im Stadion spürte Grimm ein »Ziehen« im Knie und brach den Wettkampf ab. Eine genaue Untersuchung bei DLV-Mannschaftsarzt Dr. Michael Joneleit brachte dann die niederschmetternde Diagnose: Teilanriss des Kreuzbands. Somit war klar, dass WM und EM ohne das Hochtaunus-Mehrkampf-Ass stattfinden würden.
Nach diversen Beratungen mit dem medizinischen Team entschied man sich, auf eine Operation zu verzichten. Die Reha verlief problemlos und die KLVlerin ist seit knapp zwei Monaten wieder in der Vorbereitung auf die kommende Saison. Das Training passt und auch Hürdenläufe gehören seit einigen Tagen wieder zum Programm. Wie hochwertig die Leistung von Götzis war, zeigt ein Blick in die Bestenliste.
Deutsche Bestmarke im Siebenkampf
Denn mit jenen 6323 Zählern aus Österreich fuhr die KLVlerin die deutsche Jahresbestenliste an. Weder in Eugene noch in München konnten die anderen deutschen Asse (Sophie Weißenberg, TSV Bayer Leverkusen, mit 6273 Pkt. sowie Carolin Schäfer, Eintracht Frankfurt, mit 6223 Pkt.) die Leistung der 25-Jährigen Taunus-Athletin toppen. Das Fachportal »Leichtathletik.de« kürte den Schützling von Coach Philipp Schlesinger für den Bereich Siebenkampf zum »Ass des Jahres«, obwohl die vielseitige Polizeibeamtin nur einen Wettkampf absolvierte und bei internationalen Meisterschaften nicht zum Einsatz kam.