1. Startseite
  2. Sport
  3. Sportmix

Aus dem Krieg in den Ring

Erstellt:

_1SPOHSPORT12-B_102424_4c
Alexander Usyk präsentiert sich vor seinem WM-Kampf in Tracht und schmettert ein ukrainisches Volkslied. © DPA

(sid). Alexander Usyk schaute Anthony Joshua tief in die Augen. Davon abgesehen hatte der traditionelle Staredown nichts vom üblichen Vorgeplänkel eines Mega-Fights im Schwergewicht. Denn der ukrainische Box-Weltmeister Usyk, in Landestracht gekleidet und bis auf eine Locke rasiert, drehte sich danach zu den Kameras, schmetterte das Volkslied »Oi u luzi chervona kalyna« - und drückte damit seine Solidarität mit den Soldaten in der vom Krieg gebeutelten Heimat aus.

Wenn Usyk am Samstag (23.15 Uhr/DAZN) in Dschidda/Saudi-Arabien gegen den Engländer Joshua in den Ring steigt, dann verteidigt er nicht nur seinen Titel als Schwergewichts-Champion, sondern kämpft auch für sein Land. »Ich bin sehr froh, dass ich bald wieder kämpfen kann«, sagte Usyk vor seinem ersten WM-Fight seit dem Kriegsausbruch am 24. Februar. An diesen Tag erinnert er sich, wie wohl fast jeder Mensch, als wäre es gestern. Nur schmerzt sein Herz noch ein bisschen mehr: Es war der Geburtstag seiner Tochter. »Sie ist an dem Tag zwölf Jahre alt geworden, und natürlich hat sie geweint«, berichtete Usyk im »Guardian«. Danach meldete er sich freiwillig für den Dienst an der Waffe und patrouillierte als Soldat durch Kiew. »Ich habe jeden Tag gebetet: Bitte, Gott, lasse niemanden versuchen, mich zu töten«, erinnerte sich Usyk: »Und bitte zwinge mich nicht dazu, jemanden zu erschießen.«

Ans Boxen dachte Usyk nicht. »Mein Land und meine Ehre sind wichtiger als WM-Titel«, erklärte der Familienvater damals. Doch aus der Heimat, egal ob aus der Armee oder der Bevölkerung, war große Unterstützung zu hören. »Die Menschen wollen, dass er kämpft und gewinnt. Er soll die ukrainische Flagge hochhalten«, sagte Promoter Alexander Krassjuk: »Die ukrainische Hymne soll so in der ganzen Welt zu hören sein.« Auch die ehemaligen Box-Weltmeister Vitali und Wladimir Klitschko, sogar Präsident Wolodymyr Selenskyj, ermutigten Usyk, der die Ukraine mit einer Sondergenehmigung verlassen durfte, zum Kampf. Mit seinem Auftritt könne er seinem Land mehr helfen. In der Ukraine wird der Kampf gegen Joshua für jeden Menschen verfügbar sein. Usyk, der sich in Dubai vorbereitet hat, wollte die TV-Rechte kaufen, doch die saudi-arabischen Veranstalter schenkten sie ihm einfach.

Usyk, der früher unumstrittener Weltmeister im Cruisergewicht war und als Profi noch nie besiegt wurde (19 Kämpfe, 19 Siege, 13 K.o.), ist nicht nur deshalb auch im Rückkampf der Favorit. Der Edeltechniker hatte den 32 Jahre alten Joshua, diesen Modellathleten mit dem Dampfhammer, bereits im vergangenen September klar enttrohnt. »In den Trainingsvideos sieht er aus wie ein Cyborg« sagte Krassjuk vor dem Rückkampf. Er habe Usyk »nie entschlossener gesehen als jetzt«. Speziell vorbereitet hat sich Usyk auf seinen Gegner nicht. »Ich verfolge ihn schon seit zehn Jahren«, sagte Usyk, der im Vorfeld des Kampfes häufig ein blau-gelbes T-Shirt mit der Aufschrift »Colors of freedom« (Farben der Freiheit) trug. Er werde »nicht so gut sein wie bei jedem anderen Kampf, den ich bestritten habe - ich werde besser sein.« Und nach dem Kampf? Will Usyk schnell wieder in seine Heimat zurückkehren und sein Land unterstützen.

Auch interessant