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Das Projekt von Brentford

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Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg und ihr Team sind bereit für den EM-Auftakt heute Abend gegen Dänemark. © IMAGO

Das deutsche Frauen- Nationalteam soll sich bei der Fußball-EM am besten so entwickeln wie der Stadtteil in London. Dort starten die Spielerinnen heute gegen Dänemark in das Turnier.

Wer sich von der Einmündung der Brent in die Themse in den Kern des Londoner Stadtteils Brentford bewegt, dem fallen sofort die vielen Neubauprojekte auf. Moderne Backsteinbauten sprießen wie Pilze aus dem Boden. Es ist eine von vielen Maßnahmen, um einen wegen seiner industriellen Vergangenheit und des Fluglärms lange verschmähten Stadtteil zu beleben.

Ein wichtiges Vorhaben nennt sich »Brentford Project«, direkt an der High Street, die zum Community Stadium von Brentford führt, in dem das deutsche Frauen-Nationalteam das EM-Auftaktspiel gegen Dänemark (Freitag 21 Uhr/ZDF) bestreitet. Die Heimat des englischen Erstligisten FC Brentford ist vor zwei Jahren eigens an zentraler Stelle zwischen Bahngleise und Hochhäuser gezwängt worden, um das Zusammenwachsen zu fördern.

Alles in allem gibt es kein besseres Sinnbild, denn auch die DFB-Fußballerinnen befinden sich in einem Prozess, der ein bisschen mehr als Bastelarbeit bedeutet. Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg arbeitet gewissermaßen an ihrem eigenen »Brentford Projekt«, weil auch das zweite Gruppenspiel gegen Spanien (12. Juli) hier stattfindet. Dann gibt es klare Fingerzeige, ob es früh nach Hause geht - wovon mal keiner ausgeht - oder ins Viertelfinale gegen eine Mannschaft aus der England-Gruppe.

Vorerst gilt der Fokus jetzt dem ersten Spiel gegen den Vize-Europameister von 2017. »Wir wissen, was wir können und wollen unseren Plan durchziehen«, sagte die 54-Jährige am Donnerstag. Man habe am Mittwochabend im Innenhof des Teamhotels im Syon Park das Eröffnungsspiel geschaut, »am Freitag freuen wir uns auf ein ausverkauftes Stadion.« Dem Gegner gilt es ungeachtet der internen Querelen zwischen den Starspielerinnen Pernille Harder und Nadia Nadim Respekt zu zollen. »Dänemark hat ein gutes und mental starkes Teamgefüge. Es wird eine große Aufgabe für uns, aber wir werden unsere ganze Energie und unseren ganzen Willen ins Spiel bringen.« Mit dem verlorenen EM-Viertelfinale vor fünf Jahren gegen die Skandinavierinnen muss sie sich nicht beschäftigen; der Reinfall im Regen von Rotterdam fiel nicht in ihren Verantwortungsbereich.

Wer sie beim Training auf dem Gelände des Grashoppers Football Club erlebte, sah eine hochkonzentrierte Fußballlehrerin, die noch mit der Kladde in der Hand herumlief. Mal steckte sie eine Stange in den Rasen, mal fuhr sie sich bei einem Windstoß durchs Haar, aber die meiste Zeit beobachtete sie aufmerksam. Ihr soll diesmal nichts entgehen; anders als bei der WM 2019 hat sie das Gefühl, dass sie jetzt weiß, was jede Einzelne kann. In Frankreich habe sie ihren Kader »unbewusst überfordert.«

Das Gerüst steht lange

Seit dem einzigen Testspiel gegen die Schweiz (7:0) ist die Startelf klar. Vor Torhüterin Merle Frohms dirigieren die lange verletzte Marina Hegering und die gereifte Kathrin Hendrich die Viererkette. Das Mittelfeld gilt als bester Mannschaftsteil: Lena Oberdorf, Lina Magull und Sara Däbritz haben Führungsaufgaben beim VfL Wolfsburg, FC Bayern bzw. Paris St. Germain inne gehabt - da kann diese Troika doch sicher nun vorangehen. Vorne versuchen Svenja Huth und Klara Bühl, die Mittelstürmerin Lea Schüller in Position zu bringen. Sollte die Bayern-Angreiferin Ladehemmung haben, sitzen noch Kapitänin Alexandra Popp, Frohnatur Laura Freigang und Talent Jule Brand draußen. »Unsere Stärke ist, dass wir uns nicht von ein oder zwei Torjägerinnen abhängig machen müssen«, betont die Bundestrainerin. Das war früher anders, als die bei jeder Trainingseinheit mitmischende Teampsychologin Birgit Prinz noch aktiv war.

Zu Wort gemeldet hat sich pünktlich vor EM-Start noch eine andere Galionsfigur aus den glorreichen Zeiten. Silvia Neid, die im Rückblick fast unfassbare Erfolge als Spielerin und Trainerin einsammelte, hat in einem DFB-Interview über die deutsche Elf gesagt: »Für mich sind sie einer der Top-Favoriten auf den EM-Titel. Martina Voss-Tecklenburg kann auf einen ausgeglichenen Kader zurückgreifen, die Qualität ist da.«

Es stimme zwar, so die im Scoutingbereich arbeitende 58-Jährige, »dass wir nach den Viertelfinal-Aus’ 2017 und 2019 inzwischen die Vormachtstellung verloren haben«, dennoch gelte: »Wir haben eine sehr gute Mannschaft, einen guten Mix aus Erfahrung und jugendlicher Unbekümmertheit.« Hörte sich so an, als solle niemand an der raschen Fertigstellung des »Brentford Project« zweifeln, auch wenn das vor Ort derzeit noch anders aussieht.

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