Das schwierige Höwedes-Erbe

Hansi Flick hat eine Lösung für eine Problemposition gefunden. Der Mann ist nicht mehr ganz jung, 34, und hat nicht mehr allzu viele Haare auf dem Kopf, null, aber er wetzt noch immer ganz schön schnell abwechselnd die linke oder rechte Flanke auf und ab. Einmal spielte er gar einen Schnittstellenpass, dass es eine wahre Augenweide war.
Im Training der Fußball-Nationalmannschaft vor dem Nations-League-Spiel am Freitag (20.45 Uhr/ZDF) in Leipzig gegen Ungarn macht Benedikt Höwedes tatsächlich einen guten Eindruck. Aber das letzte Länderspiel des 2014er-Weltmeisters ist inzwischen schon eine ganze Weile her. Vor mehr als fünf Jahren, bei einem längst vergessenen 4:1 gegen Aserbaidschan, grätschte der Abwehrmann zuletzt für Deutschland.
Inzwischen ist Höwedes Teammanager im DFB-Team und als solcher mitunter unerlässlich, um die Übungseinheiten personell zu vervollständigen. Ein Job, den er von dem 20 Jahre älteren Oliver Bierhoff übernommen hat.
Bei der WM 2014 verteidigte Höwedes Deutschland auf der linken Seite zum Triumph und fehlte dabei keine einzige Minute. So einen Haudegen, auf den stets Verlass ist, sucht der damalige Assistenztrainer Hansi Flick jetzt auch wieder. Rechts für die von ihm bevorzugte Viererkette hat er Leute wie Jonas Hofmann, Thilo Kehrer, Benjamin Henrichs oder Matthias Ginter, alle gewiss nicht schlecht, aber keiner in der höchsten Schublade internationaler Klasse, wenngleich vor allem der Mönchengladbacher Hofmann sich erstaunlich entwickelt hat.
Links balgen sich David Raum, zuletzt nicht in Prachtform bei seinem neuen Arbeitgeber RB Leipzig, und der nach Verletzung ins Nationalteam zurückgekehrte Robin Gosens um den Stammplatz. Beide sind, genau wie der diesmal nicht nominierte Freiburger Christian Günter, klasse Außenstürmer mit enormer Laufstärke und Power auf Dauer nach vorn, aber auch mit Schwächen in der Rückwärtsbewegung. Gosens kämpft zudem um einen Stammplatz bei Inter Mailand. Ihm wurden seine derzeitigen Grenzen neulich im Spiel der Champions League gegen den FC Bayern aufgezeigt. »Uns haben sie überrumpelt und überrannt«, sagte der 28-Jährige im Rückblick auf das 0:2. Er wurde gnadenlos mit überrannt. Die Formsuche ist bei der Stimmungskanone noch nicht beendet.
Links ist also Raum vorne, rechts hinten derzeit wohl Jonas Hofmann, bisher 14 Länderspiele, mal im zentralen Mittelfeld, mal Rechtsaußen, nun Rechtsverteidiger. Der 30-Jährige verrichtet den Job zur Zufriedenheit von Flick, was auch durch regelmäßige Einsätze zum Ausdruck kommt. Hofmann, zuletzt Doppeltorschütze gegen RB Leipzig in offensiverer Rolle für seinen Verein, ist in elf von 13 Partien unter Flick dabei gewesen und hat meist mindestens zuverlässig agiert.
Zur Umschulung, die schon Joachim Löw initiiert hatte, schaute Hofmann sich reichlich Videos erfahrenerer Rechtsverteidiger an. Das und die neue Spielpraxis haben ihm »ganz neue Einblicke gegeben. Ich kann jetzt die defensivere Position viel besser verstehen.« Und sich bei Bedarf gerne Ratschläge bei Benedikt Höwedes abholen.
JAN CHRISTIAN MÜLLER