Der Slalom durch die Fans

Die Königsetappe nach Alpe d’Huez ist der letzte Alpen-Akt der 109. Tour de France. Am Nationalfeiertag hoffen die Franzosen auf einen Sieg eines Landsmanns. Letztlich triumphiert Ausreißer Thomas Pidcock, Jonas Vingegaard behält sein Gelbes Trikot.
Spitzenreiter Jonas Vingegaard holte sich glücklich Küsschen von Freundin Trine und Tochter Frida ab, Titelverteidiger Tadej Pogacar bekam eine tröstende Umarmung seiner Verlobten Urska. Am Ende der Königsetappe zum Radsport-Mekka Alpe d’Huez genossen die Hauptdarsteller der 109. Tour de France am Donnerstag das Familientreffen, auf den 21 berühmtesten Serpentinen der Welt kannten sie zuvor vor mehreren Hunderttausend Fans keine Gnade miteinander. Dreimal attackierte der am Vortag eingebrochene Pogacar am Schlussanstieg, Vingegaard folgte jedes Mal mühelos und verteidigte sein Gelbes Trikot.
»Am Vortag habe ich gelitten, das wird mir nicht noch einmal passieren. Ich bin zuversichtlich, aber Jonas ist super stark«, sagte Pogacar. Vingegaard meinte: »Es war ein besonderer Tag für mich, ich hatte das erste Mal das Gelbe Trikot. So viele Zuschauer an der Strecke, am Ende war es hart.« In der Gesamtwertung liegt Vingegaard 2:22 vor Pogacar und 2:26 vor dem Waliser Geraint Thomas. Simon Geschke ist überraschend weiterhin Spitzenreiter der Bergwertung.
Den Sieg auf der bis zu 37 Grad heißen und mit 4650 Höhenmeter brutalen Etappe am französischen Nationalfeiertag sicherte sich der Brite Thomas Pidcock als Solist. Für Aufsehen sorgte allerdings vor allem sein Landsmann Chris Froome, der hinter Louis Meintjes überraschend Dritter wurde. »Ein Etappensieg bei meiner ersten Tour, nicht schlecht, oder?«, sagte Pidcock grinsend: »Das ist definitiv einer meiner größten Tage, eines meiner größten Erlebnisse. Dieser Slalom durch die Fans und die Fahnen, das erlebst du nirgends so wie hier in Alpe d’Huez.«
1128 Tage nach seinem verheerenden Sturz bei der Dauphiné-Rundfahrt zeigte Froome eine famose Leistung, die ihm kaum jemand mehr zugetraut hätte. »Ich habe mich besser und besser gefühlt. Ich habe mein Glück versucht und alles gegeben. Ich bereue nichts«, sagte Froome. Als Teil einer maximal neunköpfigen Fluchtgruppe fuhr der 37-Jährige offensiv, war am 13,8 Kilometer langen Schlussanstieg sogar vorn, ehe Pidcock die entscheidende Attacke setzte.
Angriffe hatte auch Pogacar angekündigt. Der erste erfolgte viereinhalb Kilometer vor dem Ziel, der nächste zwei Kilometer später. Vingegaard fuhr aufmerksam und blieb ebenso am Hinterrad des zweimaligen Tour-Siegers wie bei dessen letztem Versuch im Zielsprint.
Nach der Spektakel-Etappe zum Col du Granon begann das schwerste Teilstück der Tour verhältnismäßig ruhig. Früh stand eine Gruppe von sechs Fahrern, zu der sich am Col du Galibier weitere wie der viermalige Tour-Sieger Chris Froome gesellten. Trotz des Nationalfeiertages befand sich nur ein Franzose unter den Ausreißern. Simon Geschke versuchte es ebenfalls mit einer Attacke, blieb aber erfolglos.
Im Feld kontrollierte Vingegaards Team Jumbo-Visma ohne Probleme das Tempo. Auch am Col de la Croix de Fer, dem zweiten von drei Bergen der höchsten Kategorie, blieb es ruhig bei den Favoriten, sodass die große Show erst auf dem Weg zur Alpe d’Huez begann.
Nach den beiden Hochgebirgsetappen dürfen sich die Fahrer am Freitag ein wenig erholen. Über 192,6 Kilometer von Le Bourg d’Oisans nach Saint-Etienne warten nur zwei Berge der dritten und einer der zweiten Kategorie. Es bietet sich den Sprintern eine der Chancen auf eine Massenankunft.