Ein Abend für die Ewigkeit

Nach 1960 und 1980 bestreitet Eintracht Frankfurt zum dritten Mal in der Vereinsgeschichte ein Europapokal-Endspiel. Auf dem Weg nach Sevilla haben die Hessen viele Sympathien gewonnen. Nun soll heute Abend die Krönung folgen.
Mehr als 100 000 Ticketanfragen, 50 000 Fans im Finalort und eine ganze Stadt im Ausnahmezustand: Die Euphorie um Eintracht Frankfurt hat vor dem »Jahrhundert-Spiel« im Europa-League-Finale gegen die Glasgow Rangers eine völlig neue Dimension erreicht. »Gefühlt drückt uns ganz Deutschland die Daumen, das gibt zusätzliche Energie«, sagte Eintracht-Trainer Oliver Glasner vor dem Showdown mit dem schottischen Vizemeister am Mittwochabend (21 Uhr/RTL) in Sevilla.
»Das ist das Spiel des Jahrhunderts für die Stadt Frankfurt und den Verein«, befand der frühere Eintracht-Torjäger Alexander Meier, der in der Mainmetropole Kultstatus genießt. 42 Jahre nach dem Triumph im UEFA-Pokal will die aktuelle Generation des hessischen Fußball-Bundesligisten in die großen Fußstapfen von Vereinslegenden wie Jürgen Grabowski, Bernd Hölzenbein und Karl-Heinz Körbel treten und für den ersten deutschen Sieg in diesem Wettbewerb seit den Eurofightern von Schalke 04 vor 25 Jahren sorgen. »Dieses Finale ist schon etwas Außergewöhnliches. Wir wollen die Grenze noch einmal verschieben und natürlich den Titel holen«, sagte Frankfurts Vorstandssprecher Axel Hellmann.
Ein Sieg würde zugleich die erstmalige Qualifikation für die Champions League bedeuten - und den 123 Jahre alten Traditionsverein sportlich und finanziell auf ein völlig neues Level katapultieren. Schon jetzt hat sich der Verein in Europa einen Namen gemacht - vor allem durch den legendären Auftritt im Viertelfinale beim FC Barcelona, als 30 000 Eintracht-Anhänger im Camp Nou eine magische Fußball-Nacht zelebrierten. »Wir haben es geschafft, auf die absolute Topliste bei der Wahrnehmung in Europa zu kommen. Das ist für den Club außergewöhnlich und zeigt, dass man Grenzen verschieben kann, was in den internationalen Wettbewerben eher selten vorkommt«, befand Hellmann.
Nun soll in Sevilla gegen die Glasgow Rangers der Silber-Pott her. »Es geht darum, unseren Spirit auf den Platz zu bekommen, mit aller Begeisterung und Leidenschaft. Ich möchte Eintracht-Frankfurt-Fußball sehen, so wie gegen West Ham United und Barcelona«, sagte Glasner. »Wenn uns das gelingt bin ich zuversichtlich, dass es einen positiven Ausgang geben wird.«
Darauf hoffen die Fans, von denen 50 000 in Sevilla die Daumen drücken und knapp 60 000 zum Public Viewing in und vor der Frankfurter Arena erwartet werden. Auch die Spieler fiebern dem Höhepunkt entgegen. »Es ist mit das Schönste und Größte, was wir bisher erlebt haben. Jeder, mit dem ich zu tun habe, wünscht mir Glück und glaubt auch daran, dass wir es schaffen können«, sagte Nationaltorwart Kevin Trapp und versprach: »Wir werden alles versuchen, den Pokal nach Hause mitzunehmen.«
Im Erfolgsfall gibt es am Donnerstag einen Empfang in Frankfurt, der alles in den Schatten stellen dürfte, was in der Mainmetropole bisher stattfand. Denn der Verein bestimmt den Puls der Stadt so stark wie kaum ein anderer in Deutschland. »Die Fan-Kultur in Frankfurt ist außergewöhnlich. Man kann es nicht in Worte fassen, was dann passieren würde«, sagte Trapp. Glasner spürt diese Euphorie fast täglich. »Ich bin immer wieder in der Stadt unterwegs. Man merkt, irgendwie ist jeder Eintracht-Fan«, berichtete er.
Zudem gab die Eintracht am Dienstag bekannt, dass der ursprünglich bis 2023 laufende Vertrag mit dem brasilianischen Innenverteidiger Tuta vorzeitig bis Juni 2026 verlängert wurde.
Der nigerianische Nationalspieler Leon Balogun war Profi bei Darmstadt 98 und Mainz 05 und verteidigt nun im zweiten Spieljahr bei den Glasgow Rangers. Vor dem Finale der Europa League gegen Eintracht Frankfurt nahm der 33-Jährige sich noch eine dreiviertel Stunde lang Zeit fürs Interview.
Herr Balogun, was passiert gerade um die Glasgow Rangers herum?
Bei uns steht alles unter dem Slogan: »Make us dream!« Das beschreibt die Stimmung perfekt. Es sind alle super euphorisch. Es wäre eine ganz große Nummer für den Verein, in seinem 150. Jubiläumsjahr diesen Titel zu gewinnen. Und was mir noch auffällt: Ich bekomme unfassbare viele Ticketanfragen von Menschen, die ich noch nie gesehen habe.
Was erwarten Sie vom Finale gegen Eintracht Frankfurt?
Ein sehr intensives Spiel! Es wird viele zweite Bälle geben, bei denen wir den Frankfurtern den Schneid abkaufen müssen. Ich kenne die Eintracht aus meiner Zeit bei Mainz 05 als sehr unangenehme, körperbetonte Truppe, die auch Fußball spielen kann. Und Barcelona und West Ham haust du nicht einfach mal so raus.
Was zeichnet die Fans der Rangers besonders aus?
Es gibt eine weltweite Fangemeinde. Die Hingabe ist bedingungslos. Das kann auch mal unangenehm werden, wenn es nicht so läuft. Aber auch das erklärt sich mit der absoluten Besessenheit und Liebe zum Verein. Ich liebe diese Wucht, auch wenn du als Spieler manchmal ein dickes Fell brauchst.
Im heimischen Ibrox-Park sind die Rangers wie eine Urgewalt über Borussia Dortmund und RB Leipzig hinweggerauscht. Was ist in Sevilla zu erwarten, wenn die Unterstützung der eigenen Fans nicht so gewaltig ausfallen wird?
Der Support der Fans daheim hat, glaube ich, besonders in Europa eine einschüchternde Wirkung für den Gegner. Und uns peitschen sie nach vorne ohne Ende, das ganze Stadion geht ab. Das macht was mit dir als Spieler. Und ich kann Ihnen versichern: Auswärts sind unsere Fans auch nicht übel. Das Beste, was ich in meiner Karriere je erlebt habe. Aber ich weiß natürlich auch, dass die Frankfurter eine gewaltige Fanszene haben, die machen echt Alarm. Was die Fankultur angeht, treffen zwei unfassbar geile Vereine aufeinander.
Wie viele Rangers-Fans erwarten Sie in Sevilla?
Hier ist die Rede von 100 000 Schotten. Viele haben sich schon vor dem Halbfinale gegen Leipzig ihre Flüge und Hotels gebucht.
Wie geht es Ihnen persönlich bei den Rangers?
Ich habe den Verein lieben gelernt, er passt zu mir als Typ. Ich bin ja eher als Fighter bekannt. Das erkennen die Leute hier an. Die wollen sehen, dass du ihren Stolz für den Klub auch verkörperst. Gerade bin ich sehr, sehr stolz darauf, mit den Rangers Teil dieses Finals sein zu dürfen.
Ihr rechter Verteidiger James Tavernier erzielt Tore am Fließband. Wie schafft er das aus dieser Position heraus, mal abgesehen von einigen Elfmetern?
Er hat einen ausgeprägten Offensivdrang mit einer sehr hohen Präsenz in der Box und vernachlässigt trotzdem seine defensiven Aufgaben nicht. Unglaublich, mit wie viel Energie er unterwegs ist. Er ist wirklich sehr, sehr laufstark und macht immer wieder diese Wege in die Tiefe.
Gegen die Eintracht trifft Tavernier auf Filip Kostic, den besten Frankfurter. Was erwarten Sie bei diesem Aufeinandertreffen?
Ich glaube, dass die Frankfurter mit Kostic links und Ansgar Knauff rechts sehr stark in den Umschaltmomenten sind. Da geht die Post ganz schnell ab. Kostic kenne ich ja noch aus eigener Erfahrung. Der ist mit seiner Physis und seinem Tempo ein gutes Match für Tavernier. Das wird ein spannendes Duell. JAN CHRISTIAN MÜLLER
