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Einer, wie Flick es mag

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Jonas Hofmann glänzt inzwischen auch als Torschütze im DFB-Team. FOTO: DPA © DPA

(sid). Jonas Hofmann baut vor. Sein Immobilien-Unternehmen verspricht auf Mallorca die Erfüllung höchst individueller Architekturträume, den Werbefilm spricht die deutsche Stimme von James Bond. »Es sollen Wohlfühl-Oasen entstehen, in denen man sagen kann: Alles ist perfekt«, sagt Hofmann darin. Er selbst hat eine gefunden - in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft.

Wobei: Perfekt wäre es gewesen, hätte der Allrounder von Borussia Mönchengladbach diesen vermaledeiten Ball zum möglichen Siegtreffer in Ungarn verwandelt. »Sorry«, sagte er der Mannschaft zerknirscht, »da haben irgendwie die Synapsen nicht richtig gezündet.«

Vielleicht hatte sich Jonas Hofmann, 29, der Spätstarter im deutschen Team, bei der kleinen Elektroroller-Tour durch Budapest am Sonntag deshalb auch Torhüter zur Begleitung gewählt: Er lachte mit Manuel Neuer und Oliver Baumann in die Kamera. Denn trotz der Synapsen-Fehlzündung - Hofmann darf sich seines WM-Tickets vorbehaltlich einer Verletzung sicher sein.

Das ist einerseits dadurch zu erklären, dass er mit seinen drei Toren in den vergangenen vier Länderspielen derzeit der gefährlichste Mann in dieser Mannschaft ohne treffsicheren Stürmer ist. Bundestrainer Hansi Flick, wie Hofmann in Heidelberg geboren, schätzt zudem die Vielseitigkeit seines Rollenspielers, der gegen Italien am gestrigen Dienstagabend in Mönchengladbach ein Heimspiel hatte.

Hofmann kann den rechten Außenverteidiger geben, wie er es zuletzt überzeugend getan hat. Er sei nach vielen Jahren als Offensivspieler wortwörtlich »in die Defensive geraten«, schrieb der Spiegel. Eine Verlegenheitslösung zwar, aber eine ziemlich gute: »Ich fuchse mich da rein«, sagt Hofmann.

Rechts offensiv, auf seiner angestammten Position, fühlt er sich ohnehin wohl. Gegen Ungarn traf er, indem er mit langem Bein den Ball an Torhüter Peter Gulacsi vorbeispitzelte. Zentral spielen kann er auch, das gibt Flick die Chance, andere auf ihren Spezialpositionen glänzen zu lassen.

Und er selbst? Was schätzt Jonas Hofmann? Er ist kein Spieler zum Zungeschnalzen, dessen Kunststücke Millionen bei TikTok fesseln, keiner, für den Manchester City nachschauen würde, ob noch irgendwo ein paar Dutzend Ölmillionen herumliegen. Hofmann mag die Verlässlichkeit und Nüchternheit, die er selbst ausstrahlt. Oder, wie zuletzt: einen Urlaub in der Wildnis Südafrikas an der Seite seiner neuen Partnerin Laura. Für ihn gehört es dazu, beizeiten an die zweite Karriere zu denken; mit »Big Bang Building« oder als Franchisenehmer einer Sandwich-Kette sind die Weichen gestellt. »Ich möchte meinem Körper nicht so sehr zusetzen, dass ich den Rest meines Lebens auf Sport verzichten muss«, hat Hofmann gesagt. Er wolle nicht vor jedem Spiel eine Schmerztablette einwerfen müssen. Ohnehin sage sein Bauchgefühl, dass sein Abschied vom Rasen, vielleicht mit 32 oder 33, auch eine Abkehr vom Fußballgeschäft sein werde. Er glaube, er hätte »nach der aktiven Karriere gern einen geregelten Arbeitstag - und auch mal wieder ein freies Wochenende«.

Matthäus kritisiert »Alibi-Fußball«

Unterdessen vermisst Lothar Matthäus gut fünf Monate vor Beginn der Fußball-WM in Katar bei den deutschen Nationalspielern ausreichende Bereitschaft zum Risiko. Nach den 1:1-Remis in drei zurückliegenden Nations-League-Spielen bei Europameister Italien, gegen den EM-Zweiten England und in Ungarn forderte der Kapitän der deutschen Weltmeister-Mannschaft von 1990 das Team von Bundestrainer Hansi Flick schon für Dienstagabend in Mönchengladbach gegen Italien zu mehr Mut auf. In seiner wöchentlichen Sky-Kolumne »So sehe ich das« beschrieb Matthäus die jüngsten Auftritte der deutschen Elf weitgehend als bloßen Sicherheits- und Alibi-Fußball: Bis zur WM müsse »man schauen, dass wir anders auftreten als gegen Ungarn oder auch in den letzten Spielen davor. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Spieler aktuell lieber keinen Fehler machen als mal etwas zu riskieren, das dann daneben geht. Vielleicht will der eine oder andere sein Standing nicht gefährden und spielt lieber den langweilig unriskanten Pass«, monierte der Rekordnationalspieler und konstatierte: »Der bringt aber leider selten Erfolg.«

Den derzeitigen Mangel an Erfolgserlebnissen des Flick-Teams führt Matthäus außerdem auf eine Mischung aus einem »Abschlussproblem« und weiteren Faktoren zurück. »Wir müssen etwas Generelles ändern«, schrieb der 61-Jährige: »Wir sind einfach nicht zwingend genug im Herausspielen von Torchancen und erst recht nicht im Vollenden. Wir schießen sieben oder acht Mal aufs Tor und treffen nur einmal. Diese Quote muss deutlich verbessert werden, wenn wir bei der WM um den Titel spielen wollen.«

Doch es seien nicht nur »unsere Angriffe, die zu ungefährlich sind«, analysierte Matthäus: »Wir schießen zu wenig aus der zweiten Reihe. Unsere Standards sorgen nicht für Gefahr. Es ist viel zu wenig Bewegung im gesamten Spiel unseres Teams. Das konsequente Agieren fehlt in den defensiven Zweikämpfen, aber vor allem im Erzwingen von Möglichkeiten vor dem gegnerischen Tor. Der ganze Ballbesitz bringt uns nichts, wenn wir ihn nicht in Chancen umwandeln und diese vor allem regelmäßig verwandeln.«

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Lothar Matthäus (l.) nimmt kein Blatt vor den Mund und teilt Trainer Hansi Flick mit, was ihm nicht passt. FOTO: DPA © DPA

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