Geiger kommt auf Touren

Der große Favorit auf den Sieg bei der Vierschanzentournee ist Karl Geiger diesmal nicht. Aber vielleicht ist das für Deutschlands besten Skispringer in diesem Winter der entscheidende Vorteil.
Der Schreck daheim in Oberstdorf war gewaltig. »Hoppla, Papa umfallt«, so berichtete Karl Geiger, habe seine bald zwei Jahre alte Tochter Luisa vor dem Familien-Fernseher ausgerufen, als Deutschlands bester Skispringer am Sonntag im Engelberg bei der Landung böse stürzte. Weil Papa aber eben immer der Beste ist, sich »ganz gekonnt abrollte und nix wehtut«, wie Geiger grinsend mitteilte, die Generalprobe für die Vierschanzentournee ansonsten viel Anlass zu Optimismus gab, ist kurz vor Weihnachten im Hause Geiger: alles gut.
Und so machte sich das Familienoberhaupt aus der tief verschneiten Zentralschweiz noch am Sonntagabend schnellstmöglich gen Heimat auf. Anders als im Vorjahr fehlten im Gepäck zwar der Engelberger Siegesengel und das Gelbe Trikot des Weltcup-Spitzenreiters - mit nach Hause nahm Geiger nach starken Sprüngen aber die wiedergefundene Zuversicht, dass es vielleicht doch etwas mit dem ersten deutschen Tourneesieg nach langen 21 Wintern werden könnte.
»Klar, wird sind nicht ganz vorne. Und es hilft nur die Flucht nach vorne. Aber wir wollen angreifen«, kündigte Geiger an und stürzte sich am Montag gleich wieder ins Training auf der Oberstdorfer Schattenbergschanze, wo nach dem kurzen weihnachtlichen Durchschnaufen am 28. Dezember mit der ersten Quali die Tournee beginnt: »Es gibt noch einiges zu tun, es ist noch nicht konstant genug.«
Das vielleicht nicht. Doch Geiger ist nach wackligem Saisonstart nicht mehr so weit entfernt von den Allerbesten, dass ein neues deutsches Wintermärchen nach dem Tourneecoup von Sven Hannawald 2001/02 illusorisch wäre. Auch wenn Geiger noch verhalten klingt.
»Es fehlt vielleicht nicht ganz so viel. Aber es muss schon einiges zusammenpassen, dass es wieder ins Rollen kommt«, sagte der Tournee-Zweite von 2020/21. Doch wäre er am Sonntag in Engelberg eben nicht gestürzt - statt Platz zehn wäre es womöglich schon auf das Podest gegangen.
Bundestrainer Stefan Horngacher ist mit Geigers Jägerrolle jedenfalls nicht unzufrieden. »Wir sind schon in Gelb, als Engelberg-Sieger und mit zwei Topfavoriten zur Tournee gekommen - und haben auch nicht gewonnen«, sagte der Österreicher. Und deshalb läuft es ja vielleicht jetzt gerade andersherum. »Im Skispringen kann es ja Gott sei Dank sehr schnell gehen.«
Natürlich, und das weiß auch Horngacher, ist ein deutscher Heimsieg im Hexenkessel von Oberstdorf - der zuletzt Geiger vor zwei Jahren gelang - ein emotionales Highlight, für den Tourneesieg aber nicht einmal essenziell. Und deshalb liebäugelt der Coach mit einem Alternativszenario. Und das geht so:
»Wenn wir in Oberstdorf Siebter werden, dann ist das okay - da hast du ja keine 100 Punkte Rückstand. Und so machst du dann in Garmisch weiter, und dann kommt der Bergisel in Innsbruck, da machen dann eh zwei einen Fehler, die überholst du dann«, sagte Horngacher in Engelberg: »Und dann hast du vielleicht in Bischofshofen das Glück, dass du um den Sieg mitspringst.« Und dann, schwupps, ist endlich ein Deutscher wieder Tourneesieger. Natürlich nur, wenn Papa nicht umfallt.