Kaum zu lösender Zwiespalt
Da saßen sie, die deutschen Fußball-Nationalspieler, aufrecht und aufmerksam. Ihr Blick richtete sich auf den Bildschirm, auf dem Thomas Hitzlsperger, der lange für Deutschland gespielt hat, aus Boston zugeschaltet war. Es ging um Katar, die anstehende Weltmeisterschaft, die wegen der dortigen Menschenrechtslage ein kompliziertes Turnier sein wird.
»Mein Appell«, so der für den DFB als Botschafter für Vielfalt tätige Hitzlsperger, »weil man viel von euch wird wissen wollen: Redet nur über Dinge, bei denen ihr Bescheid wisst. Und sagt, wenn das nicht der Fall ist.«
Ja, wie ist das mit Katar? Wie ist es mit Bauarbeitern, die in Scharen zu Tode gekommen sind, wie mit den Menschenrechten, was dürfen Frauen, sind Homosexuelle dort überhaupt erwünscht, droht ihnen Verfolgung? Der DFB versucht, seinen Nationalspielern im Vorfeld der WM so viele Informationen wie möglich an die Hand zu geben. Darum wird die gemeinsame Zeit im Trainingslager genutzt, in dieses große Thema einzutauchen. Gestern lud der DFB Experten ein. Auch wer Katar schon öfter bereist hat, wie Nationalmannschafts-Direktor Oliver Bierhoff, würde nicht behaupten, sich ein umfassendes Bild verschafft zu haben. »Mein Gefühl ist: Es gibt Menschen verschiedener Klassen. Die dritte und vierte Klasse siehst du gar nicht oder nur am Rande. Du kannst nur erahnen, wie es ihnen geht.«
Es finden sich Leute, die relativ positiv über den WM-Gastgeber sprechen. Wie Roland Bischof, ein Marketingexperte, der seit 2005 »75-mal dort war. Es gibt keine Gewalt, eine wahnsinnige Infrastruktur, 5G flächendeckend. Katar ist wie ein Europa, das funktioniert«. Carsten Wehlmann, Sportlicher Leiter des Zweitligisten Darmstadt 98, hat zwei Jahre für die Katar Stars League gearbeitet und ist kritischer. Er erinnert sich an Leute, »die in die Stadien gebracht wurden, um dort Stimmung zu erzeugen«, und berichtet aus dem Alltag: »Wenn’s dort einen Unfall gibt, ist wahrscheinlich der schuld, der nicht aus Katar kommt.« ARD-Journalist Philipp Sohmer erklärt: »Meinungsfreiheit und eine Zivilgesellschaft, die aufstehen würde, gibt es dort nicht.« Das sei, so findet Martin Endemann von den »Football Supporters Europe«, auch der Unterschied zu Russland 2018. Vor vier Jahren habe man eine Community vor Ort unterstützen können. Endemann wird aber nach Katar reisen - und sich bemühen, etwa »Kanäle zu öffnen, um Leuten aus problematischen Situationen zu helfen«.
Helmut Spahn, ehemals beim DFB, nun Sicherheitsbeauftragter der FIFA, rät davon ab, »irgendetwas zu boykottieren. Das würde nur die Kräfte stärken, die zurückwollen«. Positive Entwicklungen gebe es durch eine junge Generation an Kataris, aufgewachsen im Ausland und toleranter. Christian Rudolph, der beim DFB die Anlaufstelle für Vielfalt leitet, wird nicht in Katar sein und sich die WM nicht mal am TV-Gerät ansehen: »Kann ich für mich nicht vertreten. Ich hätte am liebsten, dass sie nicht übertragen wird. So sehr ich verstehe, dass sie für euch Spieler groß ist.« Katar - ein kaum zu lösender Zwiespalt. GÜNTER KLEIN