Qualität ist sichtbar gestiegen

In seinem allerletzten Spiel für Eintracht Frankfurt, Ende August 2019, holte Ante Rebic noch einmal alles heraus, was in so einem Büffel drinsteckt. Der Kroate trat in jenem Playoffspiel zur Europa League gegen Racing Straßburg auf, als habe er vor der Fußball-Partie zwei, drei Liter Blut in sich hineingekippt. In typischer Ante-Rebic-Manier traktierte er die Gegner, riss die Mannschaft mit und die Fans von den Sitzen.
Und dann flog er auch noch vom Platz, kurz vor der Pause, aber das war eher unglücklich. Und doch war diese Hinausstellung der Schlüssel zum Sieg. Die Stimmung war aufgepeitscht, und auf dem Platz münzte die Eintracht den Zorn in Energie um, am Ende hatte sie die Franzosen nach dem 0:1 im Hinspiel mit 3:0 niedergerungen. Nur drei Tage später bat Rebic darum, gegen Düsseldorf besser nicht mehr spielen zu müssen, weg wollte er, zum AC Mailand. Fredi Bobic, der Sportvorstand, verhandelte ein paar Stunden vor Schließung der Transferperiode mit der italienischen Delegation und handelte einen klugen Deal aus. Rebic hat er »mit einem Tritt in den Hintern« gen Mailand verabschiedet, dafür im Tausch André Silva erpokert. Der Portugiese schoss die Eintracht mit 28 Saisontoren um ein Haar in die Champions League und wurde vor einem Jahr verkauft, für fast 25 Millionen an RB Leipzig. Gutes Geschäft. Rebic indes fristet ein trauriges Dasein bei Milan.
Solch ein turbulentes Last-Minute-Szenario könnte der Eintracht auch in diesem Jahr drohen, in sechs Wochen erst schließt das Transferfenster. Und der Europapokalsieger hat drei interessante Spieler im Schaufenster: Filip Kostic, Daichi Kamada und Evan Ndicka. Zurzeit macht keiner von ihnen den Anschein, den Verein verlassen zu wollen. Ganz im Gegenteil, sie sind mit Feuereifer bei der Sache. Doch wie es ausgeht, ob sie ihre Verträge verlängern, in einem Jahr ablösefrei gehen oder noch Ende August Reißaus nehmen, vermag niemand seriös zu prophezeien. Sollten die drei Leistungsträger an Bord bleiben, hätte die Eintracht eine Mannschaft beisammen, der es zuzutrauen ist, die großen Herausforderungen zu meistern und die Feuertaufe in der Champions League zu bestehen. Es ist ja die Kunst, alle drei Tage zu spielen und trotzdem in keinem Wettbewerb abzufallen.
Auch deshalb hat sich die Eintracht nun einen Kader gebaut, der früher zusammen war, ausgeglichen und auf fast allen Positionen doppelt besetzt ist. Der Konkurrenzkampf steigt, die Qualität ist sichtbar angehoben worden. Doch es bleiben, bei allem Optimismus, ein paar Unwägbarkeiten - abgesehen von möglichen Abgängen Ende August.
Denn: Vorbereitung ist nun mal Vorbereitung, erst im Ernstfall wird sich weisen, wie gut sich alles zusammenfügt, wie leistungsstark das Ensemble ist. »Es wird Rückschläge geben«, gibt Sportvorstand Markus Krösche zu bedenken. »Wir werden nicht wie ein Messer durch die Butter durch die Saison gleiten.«
Die Frage ist, wie schnell können die Neuen helfen, wie schnell kommt einer wie Mario Götze an seine Topform heran, von der er momentan weit entfernt ist. Wie schnell kann sich ein Randal Kolo Muani, ein Faride Alidou oder ein Lucas Alario einfinden, wie sieht es bei den jungen Defensivspielern aus? Bei dem einen oder anderen sind Zweifel angezeigt.
Aber man darf auch gespannt sein, ob die Etablierten weiter funktionieren. Ob der erstaunlich abgezockte Tuta dauerhaft den Abwehrchef geben kann? Der Bursche ist erst 23 und spielt das noch nicht so lange. Und kann Almamy Touré seine Bruder-Leichtfuß-Anwandlungen endgültig einmotten? Oder: Kann Makoto Hasebe sein Niveau noch mal konservieren? Hält das Knie von Sebastian Rode? Kann sich Kristijan Jakic steigern? Kommt Filip Kostic in jedem Spiel an 100 Prozent? Entwickelt sich Jesper Lindström weiter und schießt vielleicht sogar Tore? Wann wird der immer noch angeschlagene Ansgar Knauff wieder fit und kann er seine Unbekümmertheit bewahren? Wird Jens Petter Hauge seine notorische Formschwäche und die Zappeligkeit irgendwann in den Griff bekommen?
Und es wird sich zeigen, ob die Eintracht wirklich an Kreativität und Durchschlagskraft im letzten Drittel gewonnen hat. Stichwort Unberechenbarkeit. Sie wird gejagt werden, vom ersten, höchst unangenehmen Spiel in Magdeburg an. Der Kampf gegen die hoch motivierten Kontrahenten und die eigene Zufriedenheit - vielleicht wird das die größte Herausforderung für Oliver Glasner. Am Erfolgstrainer soll’s nicht liegen. Er ist hungrig wie nie. INGO DURSTEWITZ