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Schockiert von »nackter Gewalt«

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Kölns Kapitän Jonas Hector versucht vor dem Spiel, auf die Chaoten einzuwirken - vergeblich. © IMAGO

Über Fußball redete rund um das Conference- League-Spiel des 1. FC Köln in Nizza kaum jemand. Zu eindringlich war die Randale vor dem Spiel, die fast zur Absage geführt hätte. Die Aufarbeitung wird dauern. Es drohen harte Strafen.

Steffen Baumgart stand der Schock über das Erlebte auch am Tag danach noch ins Gesicht geschrieben. »Anfang der 90er war ich in der Bereitschaftspolizei«, sagte der Trainer des 1. FC Köln bewegt. »Und genau aus diesen Gründen bin ich aus der Polizei ausgestiegen: Weil ich so was nicht machen wollte.« Weil er für das Conference-League-Spiel beim OGC Nizza (1:1) gesperrt war, hatte Baumgart auf der Tribüne die Ausschreitungen vor der Partie mit 32 Verletzten aus der Nähe erlebt. »Ich halte mich nicht für den ängstlichsten Menschen«, sagte er. »Aber das, was gestern passiert ist, wird mich sehr lange begleiten. Das war einfach nur nackte Gewalt. Und das ist beängstigend, wenn man relativ dicht dran steht.«

Er sei »nur froh, dass die Jungs das nicht mitbekommen haben«, sagte der Coach mit Blick auf seine Spieler, die zu dem Zeitpunkt in der Kabine waren. »Ich habe den jungen Mann die Tribüne runterstürzen sehen. Da bist du einfach nur geschockt.« Am Ende sei es richtig gewesen, das Spiel anzupfeifen, »denn wenn alle unter diesen kurzfristigen Emotionen das Stadion verlassen hätten, wissen wir nicht, was noch passiert wäre«. Er selbst habe versucht, auf die Randalierer einzuwirken, berichtete er. »Aber da war nichts möglich. Die Jungs, die hochgeguckt haben, haben durch mich durchgeguckt.«

Derweil begann direkt nach den Vorfällen die Aufarbeitung der Zwischenfälle, die laut Geschäftsführer Christian Keller aber »ein paar Wochen« dauern kann. Die Konsequenzen für den Verein seien »noch nicht abzusehen«, sagte Keller. »Ich will auch nicht spekulieren. Da gibt es sicher eine große Bandbreite.« Diese reicht von Geldstrafen bis zu Auflagen oder auch Geisterspielen und Zuschauerausschluss bei Auswärtsspielen. Die UEFA hat ein Ermittlungsverfahren eröffnet. Eine 2017 gegen den FC verhängte Zweijahresbewährung nach Fan-Vorfällen ist nach Vereinsangaben abgelaufen, auch wenn die Kölner seitdem nicht am Europacup teilgenommen haben. Ihm sei aber klar, dass die Vorgeschichte trotzdem dazu beitrage, kritischer beäugt zu werden, sagte Keller.

Frage nach der Schuld ist schwierig

Als Direkt-Maßnahme wurde die nächste Europacup-Partie am Donnerstag gegen den 1. FC Slovacko aus Tschechien von der UEFA »zum Risikospiel aufgewertet«. Die Staatsanwaltschaft in Nizza hat mehrere Ermittlungsverfahren wegen gemeinschaftlicher Sachbeschädigung oder Gewalt am und im Stadion eingeleitet.

Schwierig ist aber die Frage nach der Schuld. Nizzas Trainer Lucien Favre hatte erklärt, dass sein Verein kein Verschulden bei sich und seinen Fans sehe. Die Präfektur in Nizza machte am Freitag ebenfalls in erster Linie die deutschen Fans verantwortlich. »Es scheint, dass es eindeutig Letztere waren, die die Nizzaer provozierten, unterstützt von Fans, die wahrscheinlich aus Paris kamen«, hieß es. Die Zahl der eingesetzten Polizeikräfte sei im Tagesverlauf bereits von 450 auf 650 erhöht worden, als sich gezeigt habe, dass die betrunkenen deutschen Fans ein inakzeptables Verhalten in der Innenstadt von Nizza an den Tag gelegt haben sollen.

Keller betonte indes, dass der FC im Vorfeld auf zahlreiche Sicherheitsbedenken aufmerksam gemacht habe. »Wir haben darauf hingewiesen, dass wir ein deutlich höheres Polizeiaufkommen für angemessen erachten«, sagte er. »Weil bekannt ist, dass es rivalisierende Lager gibt und dass die verbotene Fangruppe von Paris Saint-Germain wahrscheinlich kommen wird und Probleme mit Nizza hat. Doch die Vorschläge wurden im Endeffekt größtenteils nicht angenommen.«

Die Kölner wollen »mit aller Härte und Entschlossenheit« versuchen, die Beteiligten an den Krawallen zu ermitteln. »Ich weiß nicht, ob das 50, 60 oder 70 waren. Es waren auf jeden Fall sehr, sehr wenige«, sagte Keller. »Aber wir werden alles probieren, um möglichst viele rauszuziehen. Und die schließen wir dann aus.« Positiv war für den Geschäftsführer das Verhalten des großen Teils der friedlichen Fans. »Über 7900 der 8000 haben sich korrekt verhalten«, sagte er. »Ich habe gehört, wie 7900 gesungen haben: ›Wir sind Kölner und ihr nicht.‹ Das ist gelebte Zivilcourage. Oder wenn ich Videos sehe, auf denen richtige Fans versuchen, den anderen die Sturmkappen wegzuziehen.«

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