Von der großen Bühne auf die grüne Wiese

(sid). Bella Rose wartet auf ihren Auftritt. Wie ein Standbild steht die Fuchsstute mit der markanten weißen Blesse auf dem Abreiteplatz, keines ihrer 18 Jahre sieht man ihr an. »Sie sollte wahrscheinlich besser am Sonntag im Großen Preis gehen als am Freitag bei ihrer Abschiedsgala«, sagt Isabell Werth: »Aber es ist okay, wie es ist.«
Isabell Werth und Bella Rose, das ist eine Symbiose von Mensch und Tier, wie es sie in der Geschichte der Reiterei nicht oft gegeben hat. »Bella ist eben Bella«, pflegt Werth stets zu antworten, wenn sie erklären soll, was denn nun eigentlich das Besondere an diesem Pferd ist.
Viele große Vierbeiner hatte Werth unter ihrem Sattel: Gigolo, mit dem sie 1996 in Atlanta ihr bisher einziges Olympiagold im Einzel gewann, Satchmo, der sie mit seinen Eskapaden 2008 in Hongkong den zweiten Einzel-Olympiasieg kostete, und nicht zuletzt die zuverlässige Weihegold, die sie erst kürzlich beim Weltcup-Finale in Leipzig in den Ruhestand verabschiedete. Die besten Eigenschaften all ihrer Vierbeiner sieht Werth in Bella Rose vereint. Ganz anders, viel weicher klingt die Stimme dieser resoluten, unprätentiösen Frau, wenn sie über ihr Herzenspferd spricht. Der Blitz habe bei ihr eingeschlagen, als sie Bella Rose das erste Mal sah, erzählt Werth. Das war 2007 in einer Reithalle, Bella war drei Jahre alt und ging an einer Longe. »Ich hatte eine Gänsehaut und wusste: Das muss mein Pferd werden«, erzählte Werth vor zwei Jahren der »Süddeutschen Zeitung«.
Es wird ihr Pferd, ihre Mäzenin und enge Freundin Madeleine Winter-Schulze kauft Bella Rose und legt den Grundstein für eine einzigartige Partnerschaft. Werth bildet die Fuchsstute aus, die erfolgreichste Reiterin der Geschichte macht Bella Rose zu einem der besten Dressurpferde der Welt. Federleicht wie ein Schmetterling, elegant wie eine Ballerina, kraftvoll wie eine Modellathletin tanzt die Stute durch das Viereck.
Und dann der Bruch. Bei den Weltreiterspielen 2014 im französischen Caen lahmt Bella Rose plötzlich. Es ist der Beginn einer langen Leidenszeit, Bella verpasst die besten dreieinhalb Jahre eines Dressurpferdes. Doch Isabell Werth will sie nicht aufgeben, sie bleibt dran, versucht alles, geht jeden Weg, konsultiert unzählige Tierärzte und Therapeuten. Und hat am Ende Erfolg. Bei der WM 2018 in Tryon holt sie mit Bella zwei Goldmedaillen und lässt den Tränen der Rührung ungehemmt freien Lauf. Ein Jahr später kommt noch dreimal Gold bei der EM in Rotterdam hinzu, 2021 Gold und Silber bei Olympia in Tokio.
Und nun also der finale Tanz. Zum letzten Mal gehen »Isabellarose« am Freitag im Aachener Dressurstadion auf das Viereck. Eine 45-minütige Gala für ein Pferd, sowas hat es selbst im Reitsportmekka Soers noch nicht gegeben. Sie wisse noch nicht, wie es sein wird, sagt Werth, wie es sich anfühlen wird, das Pferd ihres Lebens zum letzten Mal vor großem Publikum zu präsentieren, aber: »Es macht mich stolz und glücklich, sie in dieser Form und auf dieser Bühne verabschieden zu können.«
In der Form ihres Lebens ist Bella Rose vielleicht nicht mehr. Aber gut möglich, dass es ihr auf der grünen Wiese vielleicht hin und wieder mal langweilig wird.