Krimi um Verbrenner-Aus: „Das ist nicht der Moment, um abzuweichen“
Kanzler Scholz beharrt in Brüssel auf einem Vorschlag der EU-Kommission zum Einsatz von E-Fuels. Deutschlands Haltung stößt bei den anderen Staaten auf Verständnis – und Kritik.
Diese Analyse liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem Europe.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn Europe.Table am 23. März 2023.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat in Brüssel auf der Forderung beharrt, die EU-Kommission solle im Streit um das Verbrenner-Aus einen Vorschlag vorlegen: Es gebe eine „von allen unterschriebene Vorstellung“, dass die Kommission vorschlage, wie auch nach 2035 mit E-Fuels betriebene Fahrzeuge zugelassen werden könnten, sagte er. „Das ist schon Konsens.“
Anders als Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) pochte Scholz aber nicht darauf, dass die Kommission diesen Vorschlag vor der endgültigen Abstimmung über die Flottengrenzwerte vorlegt. Die Brüsseler Behörde pocht darauf, dies zu keinem Zeitpunkt in den Verhandlungen zugesagt zu haben. Die FDP knüpft ihre Zustimmung zum Trilog-Ergebnis aber an verbindliche Zusagen der Kommission. Wissing und Kommissionsvize Frans Timmermans verhandeln derzeit, wie dies geschehen kann, ohne das Verhandlungsergebnis zu den Flottengrenzwerten infrage zustellen.
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Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte am Abend, es gebe „den Willen auf beiden Seiten, dieses Thema zu lösen, und es im Rahmen der vorläufigen Einigung zwischen Rat und Parlament zu lösen“. Die Verhandlungen würden nun intensiviert. Sie sei „zuversichtlich, dass wir bald eine gute Lösung finden“.
Kritik und Unterstützung für Scholz
Im Kreis der Staats- und Regierungschefs gab es Kritik, aber auch Unterstützung für die deutsche Haltung. Am deutlichsten wurde der lettische Ministerpräsident Krišjānis Kariņš. Er sprach mit Blick auf das deutsche Vorgehen von einem „sehr, sehr schwierigen Zeichen für die Zukunft“, und warnte: „Die gesamte Architektur der Entscheidungsfindung würde auseinanderfallen, wenn wir das alle tun“. Der belgische Premierminister Alexander De Croo mahnte: „Wir haben uns für einen klaren Weg entschieden, um die CO₂-Emissionen von Autos auslaufen zu lassen. Dies ist nicht der Moment, um davon abzuweichen.“

Rückendeckung erhielt Scholz hingegen von Italiens Premierministerin Giorgia Meloni: „Es gibt einige Technologien, bei denen Italien und Europa die Nase vorn haben“, sagte Meloni über die Automobilindustrie. „Uns an Technologien zu binden, bei denen das Ausland die Nase vorn hat, ist der Wettbewerbsfähigkeit unseres Systems nicht zuträglich.“ Die Regierungschefs von Tschechien und der Slowakei, Petr Fiala und Eduard Heger, forderten, die Diskussion auf die geplante Schadstoffemissionsnorm Euro 7 auszuweiten.
Macron verzichtet auf Atomkraft-Debatte
Der Streit prägte die öffentlichen Auftritte der Gipfel-Teilnehmer, stand aber gar nicht auf der offiziellen Agenda. Im Saal wurde das Thema dem Vernehmen nach nur kurz in der Diskussion um die Wettbewerbsfähigkeit der EU angesprochen. Die gesamte Debatte verlief dabei ohne große Streitereien. Frankreichs zu Hause unter Druck stehender Präsident Emmanuel Macron verzichtete laut EU-Diplomaten darauf, wie vorher angekündigt, eine strategische Debatte zur Bedeutung der Kernenergie anzuzetteln. Er habe lediglich angemahnt, der Grundsatz der Technologieoffenheit gelte auch für die Atomkraft.
Die Staats- und Regierungschefs nahmen die von ihren Mitarbeitern dazu vorbereiteten Schlussfolgerungen ebenso ohne Änderungen an wie jene zur Energiepolitik. Letztere Diskussion war eigentlich für Freitag vorgesehen, wurde wegen des ungewöhnlich geringen Diskussionsbedarfs aber vorgezogen. Der Ansatz der Kommission, zunächst nur eine vorsichtige Reform des Strommarktes anzugehen, sei von allen Teilnehmern akzeptiert worden, hieß es.
Die Strategie-Diskussion zur Handelspolitik verlief ebenfalls relativ wenig kontrovers. Emmanuel Macron betonte demnach erneut, dass die geplanten Handelsabkommen etwa mit den Mercosur-Staaten mit dem Klima- und Umweltschutz vereinbar sein müssten. Scholz hatte schon vor Beginn des Gipfels erklärt, die EU müsse „klar machen, dass wir ein fairer Partner sind“. Es sei auch im Sinne Europas, wenn etwa in Chile die Rohstoffe auch verarbeitet würden. „Das schafft für viele dieser Länder Wohlstand, aber gewährleistet gleichzeitig auch ein resilienteres und von weniger einzelnen Ländern abhängiges globales Wirtschaftssystem.“
Timmermans, Vestager und Dombrovskis für Bürokratieabbau verantwortlich
Ansonsten stellten sich die Staats- und Regierungschefs im Wesentlichen hinter die jüngsten Vorschläge der EU-Kommission zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Sie sprachen sich für ein ambitioniertes Handeln zur Vollendung des Binnenmarktes insbesondere für Daten und Dienstleistungen aus, wo der Nachholbedarf am größten ist. Zudem forderten sie die Fachminister und das Europaparlament auf, die geplanten Vorhaben zur Vertiefung der Kapitalmarktunion vor der Europawahl 2024 abzuschließen.
In den Schlussfolgerungen forderten die Gipfel-Teilnehmer zudem „competitiveness checks“ für neue Gesetzesvorhaben, wie von der Leyen sie angekündigt hat. Auch der von der Kommissionspräsidentin versprochene Abbau der Berichtspflichten für Unternehmen um ein Viertel wird erwähnt. Von der Leyen hat ihre drei Stellvertreter Timmermans, Margrethe Vestager und Valdis Dombrovskis damit beauftragt, bis zum Herbst entbehrliche Bürokratievorgaben im EU-Recht zu identifizieren.
von Till Hoppe