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„Fünf Menschen sollten sich eine Waschmaschine teilen“ – Ökonom fordert Verzicht für Klimarettung

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Von: Max Müller

Auf einem Wertstoffhof stapelt sich Elektroschrott, unter anderem eine Waschmaschine.
Elektroschrott auf einem Wertstoffhof: Reparieren statt wegschmeißen und neu kaufen, fordern Wachstumskritiker. © Marijan Murat/dpa

Deutschland diskutiert die Lösung der Klimakrise. Jenseits von „grüner“ Technologie gibt es einen anderen Vorschlag: radikales Schrumpfen. Wie soll das funktionieren?

Köln – Für die Lösung der Klimakrise gibt es zwei Ansätze. Man müsse voll auf erneuerbare Energien setzen, Wärmepumpen einbauen, Windräder aufstellen, Wasserstoff fördern, Gebäude energetisch sanieren und so weiter. Auf dieses Narrativ kann sich auch die Ampel-Regierung einigen, wenngleich es aktuell kracht. Dennoch sind SPD, Grüne und FDP grundsätzlich der Meinung, dass Innovationen und neue Technologien die Erderwärmung verlangsamen werden und die Wohlstandsverluste sich in Grenzen halten. Es gibt allerdings noch eine andere Fraktion.

Zu ihr gehört Niko Paech, Ökonom an der Universität Siegen. Er ist ein Befürworter der Postwachstumsökonomie. Ein wirtschaftlicher Ansatz, der sich vom Primat des Wachstums lösen möchte. Seine Thesen werden scharf kritisiert, denn sie rütteln an den Grundfesten der Wirtschaftstheorie. Diese besagt: Ohne Wachstum geht es nicht. So steht es auch in der Präambel des Koalitionsvertrags. Klimakrise hin, Klimakrise her – die Wirtschaft muss brummen. „Wirklich?“, fragen die Wachstumskritiker. Sie sagen, eine schrumpfende Wirtschaft wäre die beste Maßnahme, um die Erderwärmung zu stoppen. Denn wo nichts fährt, raucht oder dampft, wird auch kein CO2 ausgestoßen. Reparieren, statt neu kaufen. Urlaub an der Nordsee, statt Fernreise in die Karibik. Teilen, statt alleine besitzen.

Ökonom Niko Paech: „Die Wirtschaft muss nicht wachsen“

Es ist eine Welt, die offenbar immer mehr Menschen interessiert. Immerhin steht das Buch von Journalistin Ulrike Herrmann, in dem die Grundzüge einer schrumpfenden Wirtschaftsgesellschaft skizziert werden, seit Monaten an der Spitze der Wirtschaftsbuch-Bestsellerliste. Hat sie einen Nerv getroffen? Ökonom Paech stellt klar: „Die Wirtschaft muss nicht wachsen, weil sonst eine Unterversorgung an Produkten droht. Sie muss wachsen, damit Menschen das Einkommen für die wachsenden Ansprüche bekommen.“ Seine Schlussfolgerung: „Wir müssen radikal reduzieren.“

Niko Paech lehrt er an der Universität Siegen im Studiengang „Plurale Ökonomik“.
Niko Paech lehrt er an der Universität Siegen im Studiengang „Plurale Ökonomik“. © Niko Paech

Reduzieren. Das klingt angesichts von Wirtschaftskrise, Inflation und erodierender Mittelschicht utopisch. Es komme allerdings darauf an, wie man rechnet, sagt Paech. „Global und historisch betrachtet sind alle Deutschen, mit minimalen Ausnahmen, reich. Wir rechnen Armut immer relativ. Also: Wie viel hat ein Mensch im Vergleich zu einer durchschnittlichen Referenzgröße? Absolut sieht das ganz anders aus. Wir bezeichnen heute Menschen als arm, die wesentlich mobiler und technisch besser ausgestattet sind als Reiche in den 70er Jahren. Man kann absolut immer reicher werden – und trotzdem statistisch als relativ arm dargestellt werden.“

Wenn Wachstum ausbleibt, stehen Jobs auf dem Spiel. Es droht Massenarbeitslosigkeit. Paechs Lösung: die 20-Stunden-Woche. „Die wird so oder so notwendig. ChatGPT und Industrie 4.0 zeigen doch, welch krasse Produktivitätsgewinne in den nächsten Jahren möglich sind“, sagt Paech. „Also führen wir die Arbeitsverkürzung doch besser gleich ein, solange wir den Übergang noch steuern können.“

Habeck-Verbot fördert Einbau von Wärmepumpen: „Die fallen aber nicht klimaschonend vom Himmel“

Dabei ist die Energiewende doch das Versprechen, dass beides geht: Erneuerbare Energien fördern und gleichzeitig Wirtschaftswachstum erzeugen. Jüngstes Beispiel: Ab 2024 werden durch das Verbot von Öl- und Gasheizungen haufenweise Wärmepumpen in deutschen Haushalten eingebaut. Eine Maßnahme, die das mutmaßlich Aus fossiler Energien begünstigt und sogar die Konjunktur ankurbelt. Paech sieht das anders: „Eine Wärmepumpe fällt nicht einfach so klimaschonend vom Himmel. Die Ressourcen, die Fertigung, der Transport, der Flächenverbrauch in der Produktion – das alles verursacht Umweltschäden. Grünes Wachstum ist eine Illusion. Alle Innovationen der letzten 200 Jahren, leider auch die meisten grünen, haben sich ökologisch immer negativ ausgewirkt.“

Dass eine Wirtschaft zwingend wachsen muss, versteht nicht jeder. Wer eine Bäckerei führt und 100 Brote am Tag verkauft, der muss doch nicht wachsen, könnte man meinen. Er backt einfach konstant 100 Brote und alle sind zufrieden. Ein Trugschluss, erklärt Paech. „Die meisten Unternehmen finanzieren sich nicht allein durch eigenes Kapital, sondern durch Kredite und Aktien. Kapital bekommt aber nur, wer Zinsen tilgen bzw. hinreichende Rendite versprechen kann. In mindestens diesem Umfang muss die Wirtschaft wachsen, wenn das Gesamtsystem nicht kollabieren soll.“ Dazu kommen die Konkurrenzbeziehungen. „Zumeist setzen sich Unternehmen durch, die günstig produzieren. Aber hierzu ist es notwendig, Größenvorteile zu nutzen, also die Produktionskapazität auszudehnen, was für permanentes Wachstum sorgt“, so Paech.

Die (Mit)-Schuld der Konsumenten: „Das sind dekadente Entgleisungen“

Die Geschichte mit dem Wachstum ist nicht nur eine der Angebotsseite. Auch die Nachfrageseite, also alle Konsumenten, tragen ihren Teil dazu bei, dass Wachstum über allem steht. Immer mehr, immer schneller, immer besser. „Kreuzfahrten, Fernreisen, SUVs und immer mehr Häuser gelten als normal. Aber deren Wachstum ist angesichts der ökologischen Situation und des bereits erreichten Wohlstandes eine dekadente Entgleisung“, sagt Paech. „Brauchen 6-jährige Spielkonsolen? Brauchen wir so viel Kleidung? Warum können sich nicht fünf Menschen einen Rasenmäher und eine Waschmaschine teilen? Das sind Fragen, die wir diskutieren müssen.“

Volker Quaschning ist Professor für erneuerbare Energien. Er schaut als Ingenieur auf diese Diskussion, nicht als Volkswirt. „Diese Wegwerf- und Konsumgesellschaft ist ein ganz wesentlicher Grund, warum die Situation so ist wie sie ist. Aber: Schrumpfen würde bedeuten, dass man zum Beispiel den Pro-Kopf-Wohnraum reduziert. Dabei sind schon jetzt Wohnungen knapp.“ So richtig überzeugt ist Quaschning nicht. „Ich fürchte, dass wir in den nächsten zehn Jahren dafür keine Mehrheit finden. Das ist allerdings die Deadline, die uns noch bleibt.“

Bis dahin fängt Ökonom Paech erstmal bei sich selbst an. „Neulich ist in der IT-Abteilung meiner Uni ein Notebook aufgetaucht, das als nicht mehr nutzbar galt. Mir wurde gesagt, dass ich darauf kein Windows installieren könne und das Ding schon zehn Jahre alt sei. Der Tipp des Mitarbeiters lautete: Ein neues Produkt muss her. Ich habe es trotzdem mit nach Hause genommen, Linux installiert und es funktioniert wunderbar.“

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